Bhutan? Wo ist das denn? Das ist die häufigste Reaktion auf die Frage nach meinem nächsten Reiseziel. Zugegeben: Ein bisschen abseits der Haupttouristenströme liegt das kleine Königreich zwischen Indien und China im Himalaya schon und auch die Bedingungen, in dieses Land zu kommen, sind nicht so ganz ohne. Allerdings hoffe ich auf weitgehend unverfälschte Eindrücke aus dem wohl letzten ursprünglichen buddhistischen Land der Erde. Eine Fahrradreise einmal ganz anders!
Das Warum und das Wie...
Seit zehn Jahren verbringe ich meinen Urlaub nun auf dem Fahrrad irgendwo auf der Welt und habe auf diese Weise bisher rund
30.000km zurückgelegt. Am liebsten reise ich allein mit Zelt und abseits der Zivilisation. Und jetzt also Bhutan. Und alles ist anders. Allein reisen in Bhutan? Geht nicht. Das kleine Königreich
schützt seine Tradition und Kultur vor dem Massentourismus, indem man sich in dem Land nur mit staatlich zugelassenen Reiseführern bewegen darf. Einige dieser ca. 700 Guides sind auf Kultur,
andere mehr auf Outdoor-Aktivitäten spezialisiert. Die Massen hält Bhutan aber in erster Linie über den Preis von einer Reise auf diese kleine Insel im Himalaya ab - ab 250 US-Dollar pro Nacht
muss man als Minimum veranschlagen. Ohne Anreise versteht sich. Und die Ein- oder Ausreise muss auf dem Luftweg mit Druk Air erfolgen, der staatlichen bhutanischen Fluggesellschaft, die als
einzige den Flughafen in Paro nahe der Hauptstadt Thimphu anfliegt.
Trotz dieser Hürden soll es Bhutan sein. Auch hier entwickelte sich der Tourismus in den vergangenen Jahren ziemlich rasant, und ich möchte das vermutlich letzte ursprünglich buddhistische Land
der Erde erleben, bevor es sich auch immer mehr dem allgegenwärtigen westlichen Lebensstil öffnet. Also nur zwei Wochen. Also in Begleitung (in habe einen Guide aufgetan, der Mountainbike-Touren
anbietet). Also nicht im Zelt, sondern von Hotel zu Hotel mit einem Gepäckfahrzeug, das parallel mitfährt. Eben alles anders. Aber Karma (so heißt der Guide tatsächlich) und ich sind nur zu zweit
unterwegs und ich bin gespannt.
Wie immer werde ich hier berichten, wobei ich nicht weiß, wie die Möglichkeiten ins Internet zu gehen außerhalb der größeren Städte sind. Wenn nicht direkt von unterwegs, gibt's Bilder und Texte
nach meiner Rückkehr. Wie immer freue ich mich auf eure Rückmeldungen und Reaktionen.
In einer Woche geht's dann ab in das Land, in dem das Bruttosozialglück einen höheren Stellenwert als das Bruttosozialprodukt hat. Ich hoffe, mir ein kleines Stück davon mitnehmen zu können.
Wo ist eigentlich Bhutan
Wie schon in der Einleitung gesagt, steht vielen ein Fragezeichen ins Gesicht geschrieben, wenn man als Reiseziel Bhutan nennt. Deswegen schon einmal vor meiner
Abreise eine Übersichtskarte, wo das Königreich Bhutan liegt und wie meine Reiseroute grob aussehen soll. Der kleine Staat - ungefähr so groß wie die Schweiz, aber mit nur 800.000 Einwohnern
- liegt eingezwängt zwischen den Milliardenvölkern Chinas und Indiens im Himalaya östlich von Nepal.
Die Lage von Bhutan im Himalaya lässt eine Radtour mit vielen Höhenmetern erwarten.
Einmal quer durch das Land
Einreisen werde ich von Neu-Delhi kommend auf dem Flughafen von Paro, wo am nächsten Tag die Reise beginnt. Wanderungen, Tagestouren mit Rückkehr zum Ausgangsort
und lange Tagesetappen führen mich durch das Land bis zum Grenzübergang nach Indien. In der nahen Großstadt Guwahati starte ich dann nach zwei Wochen meine Rückreise nach
Deutschland.
Sieht doch gar nicht so schwer aus - aber geradeaus gibt es in den Bergen wohl nicht, sondern viele Kurven und Steigungen. Immerhin führt die Strecke fast ausschließlich über asphaltierte Straßen, von denen es nicht so viele gibt.
Erste Überraschung in Bhutan
Die Anreise verläuft völlig problemlos. Start in Hamburg, über Wien nach Neu Delhi. Hier komme ich nach Mitternacht an und erst nach 14 Stunden kann ich die letzte Etappe mit Druk Air nach Paro in Bhutan antreten. 14 Stunden im Transitbereich des Flughafens sind mir deutlich zu lang, und ich möchte auch nicht völlig zerschlagen am Ziel ankommen. Deswegen nehme ich mir ein einfaches Hotel in Flughafennähe. 14 Stunden sind deutlich zu wenig, um einen Eindruck von einem Land zu bekommen. Deswegen vergesse ich lieber die Details dieses kurzen Intermezzos. Gefühlte 100 Stempel später sitze ich jedenfalls wieder im Flugzeug - linke Seite, Fensterplatz: Panoramablick auf die höchsten Gipfel des Himalaya.
Wenn auch keine ganz klare Sicht, sind die 8000er einschießlich Mount Everest schon richtig spektakulär
Nichts für Feiglinge
... ist der Landeanflug auf den einzigen internationalen Flughafen von Bhutan in Paro. Man hat das Gefühl, der Pilot folgt in engen Kurven den Serpentinen an zum Greifen nahen Bergen unter uns, um dann auf der etwas kurz geratenen Landebahn im Tal von Paro sofort ein Vollbremsung hinzulegen. Am Ende der schmalen Piste kommt die Maschine zum Stillstand, wendet und rollt zum kleinen Terminal.
Landestypisch auch der Baustil des Flughafengebäudes in Paro
Nach Geldwechsel und den unkomplizierten Einreiseformalitäten erwartet mich am Ausgang Karma mit Fahrer. Nicht in Landestracht wie
die meisten anderen und auch der Fahrer, sondern sportlich modern kommt Karma daher und zu meiner Überraschung spricht er fließend Deutsch, hat 16 Jahre in Deutschland gelebt und studiert und
zwei seiner Schwestern leben noch immer dort - und warum haben wir per E-Mail dann die ganze Zeit auf Englisch kommuniziert? Zumal er sagt, dass er sich mit seiner jüngsten Schwester nur auf
Deutsch unterhält und seine Landessprache Dzongkha zwar versteht, aber nur auf umgangssprachlichem Niveau inzwischen wieder spricht.
Egal. Alles hat wie verabredet geklappt. Wir fahren gemeinsam in das kleine Hotel in Paro, wo ich die nächsten zwei Nächte unterkomme und wir ein leckeres, üppiges Abendessen serviert bekommen.
Hier erfahre ich, dass Karma selbst erkrankt ist und noch in der Nacht nach Paro zurückkehren wird. Die Wanderung zum Taktshang oder Tigernest wird sein Fahrer mit mir unternehmen und am
darauffolgenden Tag werden mich ein anderer Guide und ein Mechaniker auf der dann beginnenden Radtour begleiten
Der Weg zum Tigernest
Wenn ein Bild von Bhutan bekannt ist, dann ist es dieses Kloster, das 800m hoch über dem Tal von Paro scheinbar an den Fels geheftet wurde. Hier soll einer der wichtigsten Gurus in der bhutanischen Form des Buddhismus auf einem fliegenden, feuerspeienden Tiger gelandet sein und drei Monate meditiert haben. Deswegen ist es bis heute eine der bedeutendsten buddhistischen Pilgerstätten im Himalaya. Aller Spiritualität zum Trotz reichen mir die Lage und das Bauwerk, um mich der Mühe der gut einstündigen Wanderung auf einem steilen Pfad zu unterziehen.
Es muss nicht immer die Hightech Outdoor-Ausrüstung sein: In der tradinellen Tracht mit leichten Slippern bekleidet weicht mein Begleiter mir nicht von der Seite
Trotz Gebetesfahnen keine heilige Kuh - schließlich sind wir hier in einem buddhistischen Land
Zahlreiche Gebetsmühlen säumen den Weg zum Kloster, das im Hintergrund schon am Fels zu erkennen ist
Neben den großen Gebetsmühlen, die man dreimal im Uhrzeigersinn umrundet und dabei dreht, gibt es zahlreiche kleine Gebetsmühlen, die man einfach mit der Hand - selbstverständlich auch im Uhrzeigersinn - in Bewegung setzt
Die Gebetsmühle im Innern dieses Hauses wird von der Kraft eines Gebirgsbachs bewegt
Je weiter man nach oben steigt, desto größer wird die Zahl der Gebetsfahnen
Fast am Ziel angekommen hat man die wohl beste Sicht auf dieses spektakuläre Kloster, dessen Lage am Berg der inneren Reinheit dienen soll und auch den Wanderer auf dem Weg nach oben widerfährt diese Reinigung - wahrscheinlich ist der schweißtreibende Aufstieg gemeint (ich weiß, ich bin ein Banause)
Und hier noch einmal in seiner vollen Pracht
Die eigentliche Pracht des Klosters verbirgt sich aber in seinem Innern. Aber bevor man Zugang zu den dort verborgenen 13 Heiligtümern bekommt, muss man Arme und Beine bedecken, Taschen, Kameras und Handys abgeben. Danach folgt ein ständiger Wechsel von Schuhe an und Schuhe aus. Mein Begleiter hat sich nicht nur viel Mühe gegeben, mir die Bedeutung der acht verschiedenen Gestalten des Gurus, der buddhistischen Riten und Bräuche, sondern auch deren Bezeichnung auf Dzongkha näher zu bringen. Am Ende war ich so verwirrt, dass ich weder das eine noch das andere behalten habe, wobei die sprachliche Hürde deutlich höher lag. Beeindruckend war das Erlebnis allemal und die Art wie die Mönche hier leben und sich zum Teil drei Jahre zum Meditieren in eine kleine Kammer zurückziehen und sich in dieser Zeit weder Haare noch Fingernägel schneiden und nur vom Nötigsten leben, macht deutlich, dass es uns Mitteleuropäern wohl kaum möglich sein wird, diese Glauben wirklich zu durchdringen. Aber für viele ist es ja schick, sich punktuell das herauszugreifen, was gerade hipp ist.
Zügig gehen wir wieder hinab in fruchtbare Paro-Tal, in dem jetzt im Herbst der Reis kurz vor der Ernte steht.
Im Ort gelingt es mir, meinen Begleiter davon zu überzeugen, dass ich mich hier auch ganz gut allein zurechtfinde und allein ins Hotel zurückkehren werde. So habe ich denn ein bisschen Zeit mich umzusehen. Paro und Thimphu sind wohl die Haupttouristenorte in Bhutan und so erkenne ich hier nicht so viel von dem wieder, was Linda Leaming in ihrem Buch ¨Das glücklichste Land der Welt¨, welches mir als Reiselektüre dient, aus ihren 20 Jahren Erfahrung in Bhutan erscheint. Hier hat in den letzten Jahren wohl doch ein wesentlicher Wandel stattgefunden. Mönche mit Handy am Ohr sind so selbstverständlich wie zahlreiche Souveniershops. Die Uhren beginnen anscheinend auch hier, anders zu ticken. Im Osten des Landes soll es aber noch ganz anders aussehen - dort wird mich die Reiseroute in den nächsten zwei Wochen dann hin führen - ich werde sehen und berichten.
Ich vermute, der Fahrer dieses Lastwagens holt sich drinnen den Segen für seine Fahrt ab - wird er wohl auch dringend benötigen
Mädchen in Schuluniform vor einem ¨General Store¨
Ïn der Ruhe liegt die Kraft
Der höchste Lama des Landes besucht Paro und Hunderte folgen tagelang seinem Gebet
Dächer sind nicht nur gut gegen Regen und Sonne, sondern eignen sich hervorragend, um die Chiliernte zu trocknen - und davon wird in der hiesigen Küche sehr viel gebraucht
Vom Rad fahren und Nichtstun im Himalaya
Zum Nichtstun verdammt
Über Nacht, ohne sich zu verabschieden, ist mir Tenzin, mein bisheriger Begleiter, in Paro abhandengekommen. Am Morgen stehen als Fahrer sein Bruder Tshering und mein Fahrradbegleiter Nima mit dem Auto und zwei passablen Mountainbikes vor der Tür. An dem für mich vorgesehen Rad werden noch meine Pedalen und mein Sattel montiert, die ich mitgebracht habe und nach einem gemeinsamen Frühstück soll es dann in Richtung Thimphu losgehen. Leider passt meine Lenkertasche für die Kamera nicht an das Rad und ich muss mir eine andere Lösung überlegen. Eigentlich kein Problem, denn ab jetzt bin ich fast zur Tatenlosigkeit verdammt, und ich könnte mir die Kamera auch für jedes Foto anreichen lassen. Alles was ich tun möchte, nehmen die beiden mir sofort aus der Hand. Keine Tasche darf ich tragen, bei einer Pause wird mir sofort eine geöffnete Wasserflasche gereicht und das Fahrrad abgenommen, bevor ich es irgendwo anlehnen kann. Und nicht nur Nima ist wie ein ständiger Schatten in meiner Nähe, auch Tshering bleibt mit dem Fahrzeug immer in Sichtweite. Was für ein Unterschied zu meinen bisherigen Reisen, wo ich von der Orientierung über Zeltauf- und -abbau bis hin zum Kochen alles selbst machen musste und auch wollte. An diese neue Situation muss ich mich erst gewöhnen. So müssen sich Promis mit Bodyguards vorkommen und zahlreichen dienstbeflissenen Menschen um sich herum. Ich vermute, als gute Buddhisten wollen Tshering und Nima mit allem was sie für mich tun, nur an ihrem Karma arbeiten, damit es ihnen in einem nächsten Leben vergolten wird. Und ich fürchte auch, dass ich für alles was ich mir hier jetzt von ihnen abnehmen lasse, in einem nächsten Leben teuer bezahlen muss...
Nima ist als ständiger Schatten ständig in meiner Nähe und bemüht, mir alles nur Erdenkliche abzunehmen - nur treten muss ich noch allein
Thimphu kündigt sich mit einem aufwändigen Tor an und vom Plakat lächelt einem das allgegenwärtige Königspaar entgegen
Die ersten Tage auf dem Rad
In Paro starten wir nach dem Frühstück in Richtung Thimphu, der Hauptstadt von Bhutan. Erwartungsgemäß ist zwischen den
beiden ¨Großstädten¨ reger Verkehr - es kommen schon einige Autos vorbei. Die Strecke ist sehr flach und so geht es zügig voran und die 50km sind eigentlich nur ein kleines Aufwärmprogramm. Ist
aber ganz gut, um mich an das Rad zu gewöhnen. In Thimphu wird der Verkehr dann doch deutlich dichter und vor ein paar Jahren ist tatsächlich eine vierspurige Straße in die Stadt gebaut worden.
Ampeln gibt es aber in Bhutan als einzigem Land auf der Welt nicht. An der Hauptkreuzung in der Stadt regelt ein Verkehrspolizist den Verkehr. Ansonsten läuft sich der Verkehr irgendwie
zurecht.
An der Hauptstraße liegt auch Karmas Geschäft, das wir anfahren. Danach bringt Tshering mich mit dem Auto ans andere Ende der Stadt in das sehr ruhig gelegene Peaceful Resort, wo ich die nächste
Nacht verbringen werde. Am Nachmittag steht dann Sightseeing in Thimpu auf dem Programm. Zuerst in den ¨Zoo¨ - Eintritt frei und es gibt eigentlich nur eine Tierart zu sehen, das Takin, Bhutans
Nationaltier, eine Mischung aus Ziege und Antilope, das in den Anden lebt.
Das Takin - ein ziemlich dickköpfiges Nationaltier
Nächste Station ist die nationale Schule für Kunsthandwerk. Hier erlernen jungen Männer und Frauen die tradionellen Muster und Handwerkstechniken des Landes. Es ist einfach unglaublich, mit welcher Geduld hier Kunstwerke entstehen - sie sind so überhaupt nicht mein Geschmack, aber die Fingerfertigkeit und die Ausdauer verdienen höchsten Respekt! Sechs Jahre dauert die Ausbildung, bevor die Absolventen sich selbständig machen dürfen, ein langer mühsamer Weg, auf dem geschnitzt, gemalt, modelliert, gestickt, gewebt, genäht... wird.
Zwei Monate Arbeit stecken in dieser Figur, die dann für kleines Geld im Schulladen an die Besucher verkauft wird.
Dazu gehört eine unglaubliche Fingerfertigkeit und noch mehr Geduld
Alle malen dasselbe Motiv - nur die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich
Ist doch alles ganz einfach und auch schnell erklärt...
Genug mit Kunsthandwerk. Auf dem Programm stand noch ein Besuch bei dem größten sitzenden Buddha der Welt, der auf einem Berg oberhalb der Stadt entsteht, danach treibt mich der Regen zurück ins Hotel. Thimphu hat viele sehenswerte Gebäude, Paläste und Tempel. Und auch die Profanbauten sind mit ihren reichen Verziehrungen etwas für das Auge. Aber auch diese Stadt verändert sich, denn im glücklichsten Land der Welt gibt es eine Landflucht und die Stadt dehnt sich in die Seitentäler ringsum mit vier- bis fünfstöckigen Wohnhäusern aus, wo die Menschen vom Land ihr ganz irdisches Glück versuchen.
Der Buddhismus bestimmt das Leben der Bhutaner durch und durch. Und so passt es denn, dass über Thimphu gerade der größte sitzende Buddha der Welt errichtet wird
Der Plan ist das eine und Zeit ist relativ
Am folgenden Tag ist geplant, mit dem Fahrrad nach Punakha, der Winterhauptstadt von Bhutan zu fahren. Die Strecke
führt über einen 3050m hohen Pass und dann 1800m abwärts ins deutlich tiefer gelegene Nachbartal, das damit auch wesentliche höhere Temperaturen als Thimphu aufweist.
Soweit der Plan. Aber an der Strecke wird auf der gesamten Länge gebaut und sie ist tagsüber voll gesperrt und wird erst am Nachmittag um 16.30 Uhr für den Verkehr wieder frei gegeben. Zu spät,
um noch mit dem Rad aufzubrechen, denn um 18.00 Uhr ist es schon dunkel.
Also Planänderung, noch ein bisschen in der Umgebung von Thimphu radeln und ein Kloster besichtigen, danach noch einmal Sightseeing in Thimphu, weil es ja so schade wäre, wenn mir die vielen
Sehenswürdigkeiten entgingen.
Soweit der Plan. Doch dann dauert er mit dem Abholen im Hotel etwas länger, dann verzögert sich der Start, dann ist die Strecke doch länger als erwartet und schon wird es Zeit, die Fahrt mit dem
Auto nach Punakha anzutreten. Was bedeutet Zeit in einem Land, in dem man auch noch nicht unpünktlich oder unhöflich ist, wenn man eine Stunde später als verabredet erscheint.
Das Ziel unserer Tour ist nicht mit dem Rad zu erreichen. Ca. eine halbe Stunde Fußmarsch schließen sich an, um das hoch über Thimphu gelegene Cheri-Kloster zu erreichen
Nur keinen Stress. Beten und Meditieren führen zur höheren Einsicht und zur vollkommenen Reinheit
Bei allem Streben nach innerer Reinheit. Auch im Kloster hilft gegen den alltäglich weltlichen Schmutz nur die gewöhnliche Wäsche
Autofahren für Fortgeschrittene
Karma erklärte mir, die größten Probleme nach seinem 16jährigen Aufenthalt in Deutschland hatte er in Bhutan mit der
Unpünktlichkeit bei Verabredungen und die Disziplinlosigkeit seiner Landsleute, z. B. wenn man irgendwo ansteht. Letzteres konnte ich dann am eigenen Leib auf dem Weg nach Punakha erleben. Etwa
um 16.15 h erreichten wir die Straßensperre. Es hatte sich eine Fahrzeugschlange gebildet und alle warteten geduldig. Dann kam Bewegung in die Kolonne. Wer glaubt, dass sich so ein Konvoi
geordnet in der Reihenfolge, in der man gekommen ist, wieder in Bewegung setzt, wird hier eines Besseren belehrt. Le mans-Start nennt man so etwas im Sport. Alle springen so schnell es geht in
ihr Auto und fahren schnell los, um noch möglichst viele Fahrzeuge beim Start hinter sich zu lassen. Auch danach gleicht die Fahrt auf der engen, kurvigen und unübersichtlichen Straße -
wohlgemerkt: Baustelle - einem einzigen Rennen. Keine Sicht reicht, um zum Überholen anzusetzen, man kann ja mal hupen. Auf halbem Weg dann eine Kontrollstelle, wo sich Ausländer ausweisen müssen
- und alle Überholten ziehen wieder vorbei. Aber wir kriegen sie doch wieder...
Auf der Passhöhe dann - wie könnte es anders sein, ein Tempel und mitten auf der Straße eine Anlage aus 108 Chorten, die von der Mutter des vorherigen Königs erreichtet wurde, als dieser vor
einigen Jahren mit der Armee wohlbehalten aus einem Zweitagekrieg gegen indische Separatisten im Süden des Landes zurückkehrte. Leider setzte die Dämmerung schon ein und der Himmel war bewölkt.
So konnte man in der Ferne die schneebedeckten Gipfel des Himalayas nur vereinzelt erkennen. Bei gutem Wetter muss die Aussicht hier oben grandios sein.
Ein Hügel mit 108 Chorten teilt die Straße auf der Passhöhe - und immer schön im Uhrzeigersinn drum herum
Im Hintergrund lässt sich das Bergpanorama nur erahnen
Wenn Dauergebete und Meditieren nicht weiterhelfen, greift man eben zum Smartphone
Schnell wird es dunkel und die nun folgende Abfahrt ist wirklich kein Spaß. Dass die Fahrer hier alle irgendwie
suizidale Neigungen haben, zeigte sich ja schon auf der Fahrt hinauf. Die Fahrt ins Tal stellte aber alles Bisherige in den Schatten. Ich bin in Bolivien die berüchtigte ¨Death Road¨ gefahren,
über die ich an anderer Stelle hier und auf umdiewelt.de berichtet habe. Das war hiergegen Kindergarten. Dort fand die Fahrt am Tag, mit dem Fahrrad, fast unter Ausschluss von Fahrzeugverkehr auf
einer ordentlichen Schotterpiste statt. Hier: Gegenverkehr, Überholen, Dunkelheit und eine Straße, die diesen Namen nur in wenigen Abschnitten verdient. Noch nie habe ich eine Strecke gesehen,
die von so vielen Erdrutschen teilweise verschüttet war. Und links immer der Abgrund - den ich wegen der Dunkelheit gnädigerweise nur erahnen, nicht aber sehen konnte.
Die schweißtreibende Abfahrt dauerte ca. 1,5 Stunden, in denen ich auf einer kulinarischen Spezialität des Landes herumkaute: Getrockneter Käse, so hart, dass das Stück in meinem Mund am Ziel
angekommen scheinbar noch kein bisschen kleiner geworden war.
An dieser Stelle noch ein Wort zur Mentalität der Bhutaner. Ein Nein gilt als unhöflich und wird deswegen möglichst vermieden. Das macht die Kommunikation für einen Ungeübten nicht gerade
leichter und verschiedene Tests mit geschlossenen Fragen haben mir gezeigt, dass lieber ein falsches Ja als Antwort gegeben wird als ein Nein. Alles nur eine Frage der Fragetechnik. Und es ist
dem Bhutaner offenbar auch sehr unangenehm seinem Gegenüber einzugestehen, etwas nicht zu wissen. Test: Wie viele Meter sind es von der Passhöhe bis nach Punakha? 400! Kann nicht sein - müssen
viel mehr sein! Vielleicht 700 Meter?!
Naja, tatsächlich sind es 1800m - man muss es nur wissen und darf nicht jede Antwort für bare Münze nehmen.
Erkundungsfahrt rund um Punakha
Unser Hotel hatten wir bei Dunkelheit erreicht und es liegt etwa 7 km außerhalb von Punakha. Offenbar machen hier viele Reisegruppe Station, und es ist entsprechen quirlig und laut. Am Morgen bietet sich ein toller Ausblick über das Tal mit seinen Reisterrassen. Das Klima ist schon fast tropisch, demzufolge mit vielen Vögeln, Schmetterlingen und Insekten - dazu gehört natürlich auch die eine oder andere Kakerlake, die durch das Zimmer krabbelt.
Reisterrassen prägen das Landschaftsbild in den Täler Zentralbhutans
Karma hatte mir das Tagesprogramm hier vorab schon einmal erläutert: ein Kloster, in dem auf wundersame Weise
kinderlosen Paaren geholfen wird, ein Hängebrücke und natürlich der berühmte Dzong von Punakha. Danach soll eine zweite Nacht in demselben Hotel folgen.
Das nahe Kloster verfehlen wir im ersten Anlauf - wir fahren in eine Sackgasse und müssen zurück. Wieder einmal bestätigt sich mein Eindruck, dass Nima sich nicht allzu gut auskennt, musste er
doch schon in der näheren Umgebung von Thimphu gleich viermal nach dem Weg fragen und um seinen Orientierungssinn scheint es auch nicht zum Besten gestellt zu sein. Von einer Hängebrücke wusste
er auch nichts und nach längerer Diskussion fuhren wir nach dem Besuch des Klosters dem Fluss folgend ein längeres Stück, um dann bei einer modernen Betonbrücke anzukommen, die Nima zur gesuchten
Hängebrücke erklärte.
Irgendwie war das Maß jetzt voll. Ich hatte die Befürchtung, an vielen den Sehenswürdigkeiten einfach vorbeigeführt zu werden, ohne sie zu sehen und etwas darüber zu erfahren. Eine Mail an Karma,
ein abendlicher Rückruf bestätigten, Nima ist kein Fremdenführer, er kann Fahrrad fahren. Karma hatte ein Problem, weil er selbst krank ist und es kaum Führer gibt, die Fahrrad fahren. Er wollte
mir aber für den nächsten Tag einen Ersatzmann schicken. Die Aussicht ist auch nicht so richtig rosig und so einigen wir uns, dass Nima bleibt und von Karma telefonisch geleitet wird. So ganz
entspricht das nicht meinen Erwartungen und auch nicht dem Preis, den ich gezahlt habe.
Gebetsfahnen weisen den Weg zum Kloster, sind aber auch sonst überall zu finden
Klosterschüler lernen nicht nur die sehr schwere Landessprache, sondern heute auch Englisch
Das hier ist kein Bordell! Penisabbildungen findet man in Bhutan sehr häufig als Wandmalerei an Wohnhäusern. Hier verzieren sie einen Souveniershop auf dem Weg zu einem Kloster, in den kinderlosen Paaren geholfen wird
Der Dzong von Punakha - Kloster und Verwaltungsgebäude in einem
Einen großen Vorteil hat man, wenn einem Auto und Fahrer zur Verfügung stehen: Man kann auch am Abend noch mal eine Extratour machen und das zusätzliche Fotogerät, das bei einer Radreise auf eigene Faust oft zu Hause bleiben muss, einsetzen kann. Und hier das Ergebnis:
Der Dzong von Punakha angestrahlt in der blauen Stunde
Und die Hängebrücke gibt es doch! In Sichtweite des Dzongs von Punakha führt sie über den Fluss. Eine neue Entdeckung für Nima und ganz vorsichtig traut er sich sogar, drüber zu fahren - ich ziehe es vor, zu schieben
Ab in die Berge
Von einem Fahrradguide, der keine Lust zum Rad fahren hat
Endlich soll die Radtour nach den eher kleinen Ausflügen um Thimphu und Punakha und der ausgefallenen Etappe zwischen
eben diesen beiden Orten losgehen. Nach dem Frühstück soll es erst einmal wieder am Fluss entlang nach Wanguephodrang gehen. Das ist der Ort, wo gestern die Betonbrücke zur Hängebrücke
umdeklariert wurde. Die etwa 20 km sind leicht zu fahren, ohne nennenswerte Steigungen und Nima fährt los, als wenn er an einem Rennen teilnimmt. Na gut, die Herausforderung nehme ich doch gern
an und bleibe ihm dicht auf den Fersen. Schweiß überströmt steigt Nima dann in Wanguephodrang vom Rad, um mir das Kloster zu zeigen. Teilweise kommt bei seinen Versuchen, den Reiseführer zu geben
eine ganz besondere Situationskomik auf. Er fragt einen jungen Mönch auf Dzongkha nach Namen und Bedeutung einer Statue in einem Altarraum. Mit Mühe bekommt dieser stark stotternde junge Mann die
gewünschte Auskunft heraus, die Nima mir dann ins Englische übersetzt, wobei er den Namen falsch ausspricht, was wiederum bei den Mönchen zu Lachanfällen führt, die dann die englische Erklärung
abgeben.
Nach diesem kurzen Zwischenstopp, den wir auch gestern gut hätten erledigen können, schlägt Nima vor, die Räder auf den Pickup zu verladen und mit dem Auto weiterzufahren. Jetzt verstehe ich auch
sein hohes Tempo auf dem Stück hierher. Er wollte den alten Mann mürbe fahren. Die nächsten 50km geht es durchgehend 2100 Höhenmeter bergauf und das wäre wohl doch etwas zu viel! So nicht! Ich
muss dann doch einmal sehr deutlich machen, dass ich zum Fahrrad fahren hier bin und mir auch durchaus klar ist, dass es in Bhutan keine Ebenen gibt. Ob er will oder nicht, da muss er jetzt
durch. Daraufhin erklärt er mit, dass er ja viel jünger und auch leichter als ich wäre und er deswegen von nun an hinter mir fahren werde - also der Lumpensammler. Diese Ansage nehme ich doch
gern an. An seiner Fahrweise habe ich in den Tagen vorher schon erkannt, dass er wohl kurze Steigungen im Wiegetritt und im hohen Gang ganz gut bewältigt, dass ich aber nicht die Technik, mit der
man 50 km bergauf durchhält. Dazu gehören Geduld und Ausdauer.
Bewusst gehe ich etwas zügiger als gewohnt an und mache ebenso bewusst keine Pausen. Nima fällt schnell zurück und nach ungefähr einem Drittel der Strecke erklärt er, er habe Rückenschmerzen und
könne nicht weiter fahren. Okay, setze dich ins Auto, ich bleibe auf dem Rad.
Landschaftlich ist die Strecke spektakulär. Die Straße ist eng und kruvig und obwohl es die Hauptverbindungsstraße des Landes ist, hält sich der Verkehr deutlich in Grenzen
An der Straße muss ständig gebaut werden. Insbesondere Erdrutsche zerstören die Fahrbahn. Bevor der neue Asphalt aufgetragen werden kann, muss aber erst mal der Teer aufgekocht werden
Passhöhen gleichen sich immer irgendwie. Manchmal, wenn man den Destrikt wechselt ein Tor, immer eine Stupa und viele, viele Gebetsfahnen, weil hier oben der Wind alles Böse davonträgt
Trotz mehrmaliger Nachfragen bleibe ich auf dem Rad und erreiche den Pass auf 3300m Höhe. Das war ein hartes Stück
Arbeit. Wenn auch mit Ausnahme der letzten beiden Kilometer die Steigung moderat war, die Dauer macht einen fertig. 50km im kleinen Gang und keine Chance sich auch nur einmal ein paar Meter
rollen zu lassen.
Hier oben holt Nima denn auch wieder sein Rad vom Pickup und rast den Berg nach Gangtey hinab, wo wir in einer Unterkunft direkt neben einem - natürlich - Kloster unterkommen, wo die ganze Nacht
Mäuse auf dem Dachboden das Schlafen auch nicht gerade fördern. Aber hier sind wir schon sehr in der Abgeschiedenheit Zentralbhutans. Hier überwintern auch die seltenen Schwarzhalskraniche.
Leider sind sie noch nicht da. Die heiligen Vögel werden erst Ende Oktober erwartet.
Die Nacht ist in dieser Höhe schon empfindlich kalt und morgens liegt Raureif über dem Gras.
Selbstverständlich steht auch in Gangtey die Besichtigung des Klosters auf dem Programm. Schützende Figuren, die die Häuserecken zieren.
Von Gangtey nach Trongsa
Auch am Morgen plagen Nima noch Rückenschmerzen und den Weg zurück zur Passhöhe verbringt er im Auto. Dort oben hat er sein Rad bei meiner Ankunft schon für die Talfahrt abgeladen. Ein kurzes Stück geht es dann bergab, um dann gleich den Anlauf zum nächsten, etwa 3350m hohen Pelela Pass zu nehmen. Kein Problem und es folgt eine ebenso lange Abfahrt ins Tal nach Trongsa wie der gestrige Anstieg - Nima ist natürlich dabei. Wir kommen im View Point Resort kurz vor Trongsa unter, das irgendwie den Eindruck macht, dass es in der letzten Saison endgültig geschlossen wurde. Aber es gibt etwas zu Essen, eine heiße Dusche und ein bequemes Bett für die Nacht. Das Hotel hat seinen Namen, weil man vom Restaurant im 2. Stock einen herrlichen Blick über das Tal und über Trongsa hat. Der Ort ist Distrikthauptstadt und hat natürlichen einen Dzong, den wir natürlich auch besichtigen. Auch wenn der Ort vom Hotel zum Greifen nahe aussieht, ist der Weg bis ins 300m tiefe Tal und auf der anderen Seite wieder hinauf etwa 10km lang - wir nehmen das Auto, die Strecke steht erst für den nächsten Tag auf dem Programm.
Hoch über dem Tal thront der Dzong von Trongsa direkt auf der Klippe
Nicht nur von außen beeindruckt ein Dzong. Im Innern sind die Gebäudeteile über und über mit Schnitzereien und Malereien verziehrt
Zur Innenausstattung der Klöster und Dzongs gehören natürlich auch zahllose Gebetsmühlen unterschiedlicher Größe
Im Schatten des Dzong trainieren Bhutaner im traditionellen Gewand den Nationalsport des Landes mit nicht ganz so tradionellen Sportbögen. Man verlässt sich sehr auf die Treffsicherheit der Schützen, denn in etwa 100m Entfernung stehen andere Männer und lassen eine ca. 2 - 3 m breite Gasse zum Ziel
Über der Stadt und dem Dzong wacht ein mächtiger Aussichtsturm - den hat nicht jede Stadt
Übertriebenes Sicherheitsdenken
Über den Straßenverkehr und den Fahrstil vieler Bhutaner habe ich ja schon berichtet. Seit Punakha begleitet uns ein anderer Fahrer mit seinem nicht mehr ganz so neuen Toyota Pickup. Der lässt zumindest wegen des sehr eingeschränkten Beschleunigungsvermögens keine waghalsigen Überholmanöver zu. Sicherheitsgurte hat dieser Wagen auch bei seiner Auslieferung nicht gehabt - sind auch eigentlich albern. Wenn man hier von der Straße abkommt, geht es in aller Regel ziemlich tief in den Abgrund - und dann sind Sicherheitsgurte auch keine Hilfe mehr. Auf dem Weg vom Hotel nach Trongsa blieb der Wagen stehen und machte keine Anstalten, wieder anzuspringen. Die Batterie war am Ende. Zusätzliches Problem: Die Handbremse verdient ihren Namen nicht mehr und zum Starten ist das hinderlich, wenn man den Fuß nicht von der Bremse nehmen kann. Aber wo ist das Problem. Rückwärtsgang einlegen, den Wagen ein paar Meter rückwärts den Berg hinunter rollen lassen, Kupplung kommen lassen und der Motor läuft! Geht doch!
Im Hotel geht man aber doch lieber auf Nummer Sicher - Sicherung des Hotelzimmers
So ganz traut der Fahrer seinem Gefährt aber doch nicht mehr, denn am nächsten Morgen lässt er erst einmal einem
Mechaniker kommen, sodass wir für die folgenden 6 Stunden auf das Knattern des altersschwachen Diesels verzichten müssen. Wenn er nicht auch den Proviant an Bord hätte wäre das kein
Problem.
Ein kleines Problem hat allerdings Nima, denn nachdem wir vom Hotel aus den Talgrund mit der Brücke über den Fluss erreicht haben, geht es erneut 1500 Höhenmeter über etwa 30 km bergauf. Da muss
er nun durch - kein Rückzug ins Auto möglich. 400 Höhenmeter vor dem Pass kommt ihm dann das Pech zur Hilfe, seine Kette reißt und das Werkzeug befindet sich natürlich auch im Auto. Er wartet,
ich fahre allein den Rest des Anstiegs und werde erst auf der Hälfte der anschließenden Talfahrt von beiden wieder eingeholt. Gemeinsam rollen wir dann in unser Tagesziel Bumthang und beziehen
eine tolle neue Unterkunft mit Ofenfeuer im Zimmer!
Vom Glück der Menschen
Bhutan hat sich als Staatsziel dem Glück seiner Bewohner verschrieben. Davon muss doch etwas zu spüren sein und
vielleicht gelingt es mir ja auch, ein kleines Stück davon in mein Reisegepäck zu stecken und in die Heimat zu schmuggeln. Drei Tage auf dem Rad liegen noch vor mir, und da kann man schon man an
die Rückreise denken.
Aber bevor ich zu meinen Eindrücken in dem angeblich glücklichste Land der Welt komme, vorher noch ein paar Ergänzungen zu meinem letzten Bericht.
Wir waren in Bumthang in einem wirklich sehr schönen Hotel untergekommen. Auch das Essen hier war außergewöhnlich gut und man bemühte sich nicht zwanghaft, internationale Hotelküche zu imitieren.
Das Essen war landestypisch und sehr lecker. Ein Beispiel: In der Gegend wird sehr viel Buchweizen angebaut und so gab es zum Frühstück Buchweizenpfannkuchen satt.
Die Gegend um Bumthang ist buddhistisches Kernland Bhutans mit sehr vielen Klöstern, Tempeln und natürlich einem Dzong. Für den Vormittag standen eigentlich weitere Besichtigungen an. Eigentlich.
Denn der Toyota verweigerte wieder einmal seinen Dienst. Nicht die Batterie, sondern die Lichtmaschine hatte sich verabschiedet - was soll eigentlich diese blödsinnige Kontrollleuchte im
Armaturenbrett? Eine Werkstatt war auch gleich in der Nähe gefunden und ich hatte Zeit, meinem Doppelschatten für einen Streifzug durch die Gemeinde zu entkommen.
Die Fachwerkstatt des Vertrauens - und eine Ersatzlichtmaschine war auch am Lager, passte nur leider nicht
Landestypisches im örtliche Einzelhandel: Getrockneter Käse und Pfeile
Die Ersatzlichtmaschine passt nicht, aber man kann ja auch mal eine Weile auf Batterie fahren. Mal sehen wie lange es
gut geht. Im Eiltempo werden noch der Dzong und zwei Klöster abgehakt, wobei diese sich irgendwann auch ähneln und sich wiederholen. Und zu den Besonderheiten der einzelnen Anlagen kann Nima mir
auch nichts verraten. Der immer wiederkehrende Hinweis in den hiesigen Tempeln ¨This is a statue of Guru Rinpoche¨ ist etwa so sinnvoll wie der Hinweis in einer christlichen Kirche, dass der Mann
am Kreuz Jesus Christus ist. Nach dem Mittagessen setzen wir uns dann auf die Räder und brechen nach Ura auf.
Dort ist die Unterkunft nicht ganz so komfortabel, dafür aber umso spezieller. Es handelt sich lt. Programm um ein ¨Farmhouse¨ und wir stehen unvermittelt in der ¨guten Stube¨ eines dörflichen
Anwesens.
Ein Blick in die ¨gute Stube¨. Wichtigstes Ausstattungsstück ist der Ofen, denn wir befinden uns auf 3100m Höhe, haben eine eisige Passabfahrt hinter uns und sind durchgefroren bis auf die Knochen
Das Essen hier ist noch einmal ein Stück landestypischer, was sich auch in der Schärfe zeigt. Nur die Küche, in der alles zubereitet wird, möchte man eigentlich nicht kennen lernen. Trotzdem habe ich einen Blick hineingeworfen
Was aus dieser Küche kam hat geschmeckt und das ist doch schließlich die Hauptsache. Und geschadet hat es bis jetzt auch nicht. Mal abwarten...
Die Nacht war eiskalt, dicker Raureif lag morgens über der Landschaft und sobald der kleine Ofen im Zimmer ausgegangen war, kroch die Kälte durch die nicht isolierten Fenster und Wände des separaten Gästehauses. Nach einem ausgiebigen Frühstück und nachdem die Sonne über die Berge gekrochen war und Wärme verbreitete, nahmen wir den höchsten Pass der Tour und auch des Ostens Bhutans in Angriff. Nach knapp drei Stunden standen wir auf dem 3750m hohen Trumshingla. Jetzt warm anziehen, denn an den Straßenrändern lag schon ein bisschen Schnee und der Wind war auch eisig, und dann geht`s talwärts.
Ein endloses Fahnenmeer signalisiert untrüglich, dass man oben angekommen ist. Die Tafel weißt eine Höhe von 12400 Fuß aus, ca. 3780m
Was folgt, ist eine unglaubliche Abfahrt ins Tal. 3000 Höhenmeter am Stück abwärts bin ich ja schon mal gefahren, aber noch nie auf einer Länge von ca. 75 km!!! Man mag es mir glauben oder nicht, auch bergabfahren kann anstrengend werden. Aber in jedem Fall deutlich besser als in entgegengesetzter Richtung. Nima kennt bei der Talfahrt keine Bremsen und kein Risiko, hofft vermutlich auf eine Wiedergeburt als ganz großer Downhill-Fahrer. Ich halte das Risiko für mich in einem überschaubaren Rahmen, was ich angesichts des Abgrundes neben der Straße, der schmalen Fahrbahn, den vielen Straßenschäden, den Kühen hinter fast jeder Kurve usw. nicht für übertrieben ängstlich halte. Mein Vertrauen in den örtlichen Rettungsdienst hält sich auch in Grenzen. Außerdem möchte ich auch ein bisschen von der grandiosen Landschaft sehen und nicht nur den Blick auf den Asphalt (oder Schotter) direkt vor mir heften. Vom Schnee und Rhododendren-Dickichten auf der Passhöhe geht es durch verschieden Vegetationszonen bis in subtropische bis tropische Gefilde auf 800m und zwischendurch ist zweimal Kleidung abwerfen angesagt. Am Talgrund an der unvermeidlichen Brücke über einen Fluss steigt die Straße wieder an. Uns fehlen noch 23 km bis zum Etappenziel in Mongar. Ihr könnt raten. Nach der rasanten Abfahrt, bei der ich Nima meistens weit aus den Augen verloren hatte, konnte er sich mit dem bevorstehenden Berg so überhaupt nicht anfreunden. Nein, heute war es nicht der Rücken, heute hatte er Knie...
Bilder können die Eindrücke von der Abfahrt beim besten Willen nicht wiedergeben. Ein unvergessliches Erlebn
Was ist Glück?
Schon vor Beginn der Reise habe ich mich gefragt, ob man etwas von dem Glück der Menschen in diesem Land spürt und wie
es sich äußert, wenn der Erfolg eines Landes nicht im Bruttosozialprodukt, sondern im Bruttoglücksprodukt gemessen wird.
Unter dem letztgenannten Begriff konnte ich mir nicht allzu viel vorstellen. 5-Jahres-Pläne zur Landesentwicklung sind ja gut und schön. Aber sind sie schon der Schlüssel zum Bruttoglücksprodukt.
Die Gelegenheit bei meiner Ankunft war günstig und ich wollte sie gleich beim Schopf packen. Karma, in Bhutan geboren und ab seinem 16. Lebensjahr in Deutschlang aufgewachsen und dann dort und in
den Niederlanden Ökonomie studiert, um dann wieder in sein Heimatland zurückzukehren, der müsste es doch erklären können. Fehlanzeige. Nichts ist ihm zu diesem Thema zu entlocken. Messbar scheint
dieser Gradmesser wohl nicht zu sein. Jedenfalls verzichtet Bhutan bewusst und ausdrücklich auf das Ziel eines Wirtschaftswachstums. Hut ab könnte man meinen, wenn man das Streben nach immer mehr
als eine Wurzel des Übels der Menschheit ansieht und der Planet dabei den Bach heruntergeht. Irgendeine, wie auch immer geartete industrielle Produktion habe ich hier nicht ausmachen können. Das
Land ist durch und durch landwirtschaftlich geprägt. Die Infrastruktur ist durch die Topografie auch nicht dazu geeignet, eine Entwicklung nach westlichen Maßstäben zu fördern. Und in eine
Konkurrenz um Billiglöhne mit den Milliardenvölkern der Nachbarländer Indien und China einzutreten wäre geradezu lächerlich. Aber es ist ja auch ein Leichtes, auf eine wirtschaftliche Entwicklung
zu verzichten, wenn die Hälfte des Staatshaushaltes verlässlich von Indien (und anderen) finanziert wird. Wozu dann der Stress. Hinzu kommt, dass etwa ein Drittel der männlichen Bevölkerung über
acht Jahre aus jedem Produktionsprozess raus sind, es lebt als Mönche in den zahlreichen Klöstern.
Und wie ist es um das Glück der Menschen bestellt? Schwer genug, die Frage zu beantworten, was denn überhaupt Glück
ist. So wie hier die meisten Menschen in den ländlichen Gegenden leben und arbeiten, möchten die wenigsten Menschen, die einen mitteleuropäischen Lebensstandard gewohnt sind, leben und arbeiten.
Feldarbeit, viel Handarbeit mit einem Ertrag, der gerade zum Leben reicht - und das auf niedrigstem Niveau.
Natürlich gibt es auch hier riesige Unterschiede zwischen Arm und Reich. Man muss sich immer vergegenwärtigen, dass Bhutan bis vor nicht allzu langer Zeit eine durch und durch feudales System
war. Die Leibeigenschaft wurde erst in den 1950er abgeschafft und die allgemeine Schulpflicht in den 1960er Jahren eingeführt. Die Strukturen sind hier noch immer deutlich spürbar und prägen auch
die Mentalität der Menschen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Hauspersonal, das man früher bei uns als Gesinde bezeichnet hat, sich als glücklich bezeichnen würde, wenn es sich zum Essen
auf den Fußboden in einer Ecke in der Küche zurückziehen muss, obwohl reichlich Sitzmöglichkeiten vorhanden sind.
In Bhutan ist der Buddhismus allgegenwärtig und prägt das Leben der Menschen. Vielleicht macht dieser Glaube es gerade den Benachteiligten leichter, sich in ihr Schicksal zu fügen. Es gibt immer
die Hoffnung auf ein besseres nächstes Leben. Dazu gehört, in diesem Leben Gutes zu tun und unterbindet damit vielleicht auch eine Auflehnung gegen die eigenen Lebensbedingungen. Vielleicht ist
es ja diese Zufriedenheit mit der eigenen Situation, die vielen bei uns fehlt und um die wir andere mit einer sehr romantisierenden Sichtweise beneiden.
Nein, ich möchte nicht tauschen. Wie die meisten bei uns leben, würden hier die meisten vermutlich als großes Glück empfinden.
Finale
Die letzten drei Tage waren lang und anstrengend. Es sind noch einmal viele Kilometer und viele Höhenmeter dazu
gekommen, bis wir heute in Samdrup Jogkhar, einem kleinen Grenzort zu Indien, der am Rand der Berge aber bereits in der Brahmaputra-Ebene liegt, erreichen. Der Eindruck des Ortes ist schon ganz
anders als die vielen Dörfer und Kleinstädte in den Bergen. Es ist heiß und nicht nur angenehme Gerüche steigen in die Nase, die Geschäfte sehen anders aus und die Menschen stammen offenbar zu
einem Großteil aus Indien, mit ihrem anderen Aussehen, ihrer anderen Kleidung und ihren anderen Sitten und Gebräuchen. In den letzten beiden Wochen habe ich die sehr ruhige und zurückhaltende Art
der Bhutaner schätzen gelernt. Niemand bettelt, niemand ist laut oder aufdringlich und überall wird einem freundlich begegnet. Das ist hier auch nicht anders, aber der Ort ist schon deutlich
quirliger.
Nima, Norbu und ich haben uns inzwischen ganz gut arrangiert. Norbu versteht zwar vieles auf Englisch, weigert sich aber ziemlich beharrlich mehr als nur einzelne Worte zu sprechen. Ansonsten ist
er immer bei guter Laune, auch wenn das Auto mal wieder streikt. In Mongar war er morgens schon früh verschwunden, um mal wieder eine Werkstatt zu suchen, die die Lichtmaschine ersetzen konnte.
Freudestrahlend kehrte er mit einer handvoll defekter Sicherungen zurück und von nun an lief der Wagen ohne größere Probleme.
Norbu ist Dauerkonsument wie viele seiner Landsleute. Ständig kaut er auf seiner Doma herum: Ein Stück Betelnuss mit Branntkalk in ein Blatt des Betelnussbaums eingewickelt. Nachdem er geraume
Zeit auf der Portion herumgekaut hat, spuckt er - wie alle anderen auch - den roten Saft auf die Straße. Vielen Bhutanern sieht man den ständigen Konsum dieser leicht berauschenden Droge an den
schwarzen Zähnen und den roten Mundwinkeln sofort an.
Für umgerechnet 15 Eurocent hat sich Norbu für die nächsten Stunden mit Doma eingedeckt
Ein Stück Betelnuss, ein bisschen Branntkalk und das Ganze in ein Blatt gewickelt verschwindet in der Wange und wird dann lange gekaut, bis der rote Saft schießlich auf der Straße landet
Ich habe keine Ahnung, wie sich diese leichte Droge auf die Fahrtauglichkeit auswirkt, zumindest fördert sie offenbar
noch einmal die den Bhutanern eigene Gelassenheit. Norbu hatte seinen Spaß daran, wenn ich mich den Berg hochquälte, was für ihn wohl überhaupt keinen Sinn ergab. Nima stieg spätestens am
nächsten dem Lunch folgenden Berg auf den Pickup um, und ich hatte meine Ruhe und konnte zuverlässig alle paar Kilometer auf ein Versorgungsfahrzeug zugreifen. Bei längeren Abfahrten ist Norbu
auch schon mal vorangefahren und hat mir den Weg in den Kurven frei gehupt. Nima hatte nach dem dritten Tag keine einzige Etappe mit mir gemeinsam bis zum Ende durchgestanden - wir haben es mehr
und mehr mit Humor genommen. Für ihn war es schließlich die erste längere Radtour und er hat viel Neues in seinem Heimatland entdeckt.
Einen gemeinsamen Nenner haben wir dann doch noch gefunden. Die Beiden konnten sich offenbar nur schwer vorstellen, dass ein Europäer genau das dort essen möchte, was und wo die Bhutaner essen.
Als das erst einmal geklärt war, gab es zumindest mittags immer leckeres bhutanisches Essen, wenn auch gelegentlich in Lokalen, die bei uns das Gesundheitsamt geschlossen hätte, ohne sie zu
betreten.
Ein kleiner Snack zwischendurch, dazu ein sehr süßer Tee mit viel Milch
Keine Ahnung, wie dieses Zeug heißt, ist jedenfalls reiner, frittierter Zucker - kann man unmöglich essen...
Wie schon erwähnt, waren die letzten Tage sehr hart. Das hing auch damit zusammen, dass anscheinend niemand vor mir
diese Tour nach dieser Beschreibung gefahren war. Dazu waren zu viele Fehler hinsichtlich der Entfernungen und der Höhenangaben enthalten. Und wer die genannten Fahrzeiten erreichen soll, ist mir
schleierhaft. Jedenfalls blieb am Ende der Tage kaum Zeit, sich noch in den Ortschaften umzusehen, was gerade in Trashigang schade war, da dieser Ort viel für das Auge zu bieten hatte.
Erschwert wurde die Fahrt zudem durch einige sehr lange Baustellenbereiche, wo die vorhandene Straße auf zwei echte Fahrstreifen verbreitert wird. Wo der neue Asphalt aufgetragen war, wurde die
Fahrt zum Genuss, wo nicht, war es eine staubige Tortur.
Was mich allerdings in diesen Baustellenbereichen nachhaltig beeindruckt und auch bedrückt hat, waren die Arbeitsbedingungen der Menschen. Baumaschinen sind die Ausnahme. Sehr viel wird von
zahllosen Menschen buchstäblich in Handarbeit erledigt. Vom Zerkleinern der Steine mit teilweise wirklich kleinen Hämmern zu Schotter bis zum Planieren der Strecke mit den bloßen Händen. Und
dabei werden zwischen Männern und Frauen keine Unterschiede gemacht.
Zwei Frauen, eine Schaufel: Füllmaterial wird auf der neue Trasse verteilt, wobei die eine Arbeiterin mit einem Seil an der schweren Schaufel zieht
Hier wird fast alles von Hand erledigt. Erst einmal müssen die großen Steine zu Schotter zerkleinert werden
Weil die Wege weit sind und die Arbeiten lange dauern, errichten sich die Bauarbeiter aus dem Blech von Teer- und Ölfässern Hütten direkt am Straßenrand
Zur Straßenverbreiterung wird der Hang abgetragen, dadurch wird dieser instabil, rutscht auf die neue Fahrbahn und verschüttet oder zerstört sie wieder. Dutzende Erdrusche lassen keine Ende der Arbeiten absehen. Oft wird wie Fahrbahn nur für eine Fahrzeugbreite wieder frei geräumt.
Heute dann, nach der letzten Baustelle konnten wir das Ergebnis dieser Arbeiten noch einmal in vollen Zügen genießen. Aus fast 2500m Höhe kommend, rollten wir die letzten 40 km durchgehend auf einer neuen, relativ ebenen, breiten Fahrbahn bis auf 200m Höhe nach Samdrup Jongkhar ein - das ließ sich Nima auch nicht nehmen!
In Samdrup Jongkhar tut sich ein kleines Problem auf, das Nima schon angedeutet hatte, ich aber für den Versuch hielt, mich von Fahren der letzten Etappe abzuhalten. Die Hindus feiern in diesen Tagen Diwali, das hinduistische Lichterfest. Vor den Fenstern meines Hotelzimmers und in der ganzen Stadt hängen bunte Lichterketten, überall sind kleine Öllampen verteilt und es wird gesungen und getanzt. Zu einem Problem kann das fröhlich Treiben morgen für mich werden, wenn in Indien für mehrere Stunden die Straßen deswegen gesperrt werden und ich nicht zum Flughafen in Guwahati, der Hauptstadt des Bundesstaates Assam, kommen sollte. Also: Start um 07.00 Uhr, obwohl der Abflug erst für 17.00 Uhr geplant ist - alles wird gut. Gelassenheit kann man hier sehr gut lernen - und davon möchte ich mir für den heimischen Alltag ein Stück bewahren!!!
Die Menschen sind trotz des harten Alltags, gerade auf dem Land, immer freundlich und gelassen
Zeit ist ein Luxus, den sich hier jeder gönnt
Ein tief und fest verwurzelter Glaube scheint hierfür solide Basis zu sein...
...dann kann man vieles auch deutlich entspannter sehen