Irland - grüner wird's nicht

Mein Fehler bei vielen Reisen ist das Verhältnis von Strecke und Zeit. Mit anderen Worten: Ich nehme mir zu viel vor und habe deswegen zu wenig Zeit, mir das Land auch abseits meiner eigentlichen Route anzusehen und mehr mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Auch deswegen diesmal Irland und deswegen auch fast zwei Monate Zeit. Die Insel ist überschaubar groß und trotzdem (hoffentlich) so interessant und abwechslungsreich, wie viele sagen. Also eine Fahrt ins Grüne mit nicht zu viel Regen und Wind - ganz vermeiden lässt sich beides wohl nicht. Wie immer werde ich hier in Abständen über meine Erlebnisse berichten und wie immer seid ihr eingeladen, mich zu begleiten. Tipps, Anregungen, Lob - ja und auch Kritik dürft ihr gern per E-Mail schreiben oder im Gästebuch hinterlassen...

Bilder und kurze Texte gibt es außerdem auf Instagram unter @my_bike.tours

Die ersten Eindrücke

 

Irland: Grüne Insel mit Dauerregen – nicht unbedingt die besten Aussichten für eine achtwöchige Fahrradreise. Einige Iren bestätigten mir gleich in den ersten Tagen, dass der Winter ungewöhnlich nass war und der Frühling ein paar Wochen zu spät angekommen ist. Aber es sieht so aus, als wenn er mit mir zusammen die Insel erreicht hat. Jedenfalls scheint bei meiner Ankunft in Dublin die Sonne, es ist warm und alle Menschen drängen nach draußen.

 

 

 

 

 

 

Rekordverdächtig schnell ist die Ankunft meines Gepäcks am Flughafen Dublin - sogar der riesige Fahrradkarton lag auf dem Laufband unmittelbar hinter dem Packsack.

Vor dem Terminalgebäude wird erst einmal geschraubt und gepackt.

Völlig unspektakulär verläuft die Anreise und auf dem Flughafen von Dublin nehme ich mein Fahrrad aus dem Karton, baue alles wieder zusammen und packe meine Taschen. Am frühen Abend geht es durch die Innenstadt auf einen zentrumsnahen Campingplatz, denn Hotelpreise in Dublin sind jenseits von Gut und Böse. Zwei Tage nehme ich mir für die Hauptstadt Zeit. Also muss eine Auswahl getroffen werden, was ich mir ansehen möchte – nicht, dass Dublin von Sehenswürdigkeiten überquillt, aber alles ist dann in der kurzen Zeit doch nicht möglich. Die Entscheidung steht: Bibliothek, Kirche, Brauerei und Gefängnis – Auswahl und Reihenfolge sind willkürlich gewählt und haben nicht miteinander zu tun.

 

 

Die Alte Bibliothek im Trinity College mit dem Book of Kells und dem Long Room stehen ganz oben auf meiner Wunschliste. Als mache ich mich vom Campingplatz auf einem komfortablen Radweg entlang eines kleinen Kanals mit zahlreichen Schleusen auf den Weg in die Innenstadt. Dann die erste Enttäuschung: Die Bibliothek mit dem Book of Kells ist geschlossen. Ich werde auf einen späteren, nicht näher bezeichneten Zeitpunkt vertröstet. Also doch erst einmal in die Kirche. Die St. Patrick’s Cathedral ist die Nationalkirche Irlands und blickt auf eine mehr als 800jährige Geschichte zurück – aber all die Details will ich gar nicht wissen und belasse es – wie fast immer – bei einigen Eindrücken und groben Informationen.

 

 

 

Am frühen Nachmittag bin ich dann wieder im Trinity College. Die Ausstellung ist geöffnet und das Ticket online mit festgelegtem Zeitfenster gebucht. Einen direkten Ticketverkauf gibt es nicht mehr. Am Anfang und am Ende steht eine Multimediashow über die Geschichte und die Entstehung des berühmtesten Werks der Bibliothek, dem prachtvollen Book of Kells, das man mit einer aufgeschlagenen Seite auch in der Vitrine zu sehen bekommt. Es folgt das, was für mich das Highlight der Tour sein sollte, der Long Room. Man kommt in den Raum und ist trotz der vielen Besucher von diesem Raum voller Bücherregale und alten Büchern. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass nur die ersten Regale mit alten Büchern gefüllt sind. Mindestens 90% der Regale sind leer. Weil alles brandschutztechnisch auf den neuesten Stand gebracht werden soll, werden die Bücher gerade ausgelagert und gereinigt. Also auch hier nur ein Eindruck davon, wie es aussehen könnte.

 

 

 

Einen kleinen Zwischenstopp lege ich im Stephen’s Green, einem riesigen innerstädtischen Park, ein. Ernst, den ich im Fitnessstudio kennengelernt habe, schwärm immer von der Zeit, die er als Kind nach dem 2. Weltkrieg in Irland verbracht hatte, wo Kinder wegen der Hungersnot in Deutschland aufgenommen wurden. Im Stephen’s Green hat der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog ein Denkmal eingeweiht, mit dem dem irischen Volk für diese menschliche Geste gedankt wird. Ernst mit seiner Frau war bei dieser Zeremonie dabei und allein deswegen musste ich es mir ansehen.

 

 

 

Das Kilmainham Gaol war Gefängnis und Hinrichtungsstätte nicht nur für viele Straftäter, sondern auch für zahlreiche namhafte politische Gefangene, die für die irische Unabhängigkeit gekämpft und hier ihr Leben gelassen haben. Tickets: nur online. Nächster freier Termin: Mitte Juni! Auf dem Campingplatz rät man mir einfach hinzugehen und darauf zu hoffen, dass ein Platz frei ist. Gesagt, getan. Und eine halbe Stunde später bin ich mit Unterstützung eines sehr hilfsbereiten Guides bei der Führung dabei. Das Gemäuer beeindruckend, die Haftumstände und die Geschichten drumherum bedrückend.

 

 

 

Fehlt nur noch die Brauerei – natürlich Guiness. Und das für jemanden, der seit ca. 50 Jahren kein Bier getrunken hat. Der Besuch des Guiness Storehouses hat aber auch nichts mit einer üblichen Brauereibesichtigung zu tun. Auch hier ein Multimediaspektakel in altem, sechsstöckigem Gemäuer, wie aus Wasser, Gerste, Hopfen und Hefe Bier – sorry: Guiness! hiergestellt wird. Großer Rummel für teures Eintrittsgeld – mit einem Guiness in der Gravity Bar im 6. Stock inklusive Panoramablick über Dublin zum Abschluss. Für mich gab es aber auch eine Cola.

 

 

 

Da ich mit dem Nachtleben in den irischen Pubs nicht so viel am Hut habe, verlasse ich die Stadt am nächsten Morgen. Ich entscheide mich für eine Strecke durch den Wicklow Mountain National Park, um von dort an die Küste Richtung Süden zu kommen. Das mit den Mountains in dem Nationalpark hätte am Anfang der Tour nicht unbedingt sein müssen. Gleich am ersten Tag 1200 Höhenmeter mit schwerem Gepäck und kräftigem Gegenwind sind nicht vergnügungssteuerpflichtig.

 

 

 

 

 

Nicht mehr im Nationalpark:

Ein besonderes Schauspiel bietet sich mir am Morgen kurz nachdem ich einen Campingplatz in Redcross verlassen habe. Dutzende Rotmilan schweben über einem Acker oder sitzen auf dem Boden - und ich habe nur ein 200er Tele dabei...

 

Bei meiner Streckenplanung spielt die Frage, ob es am Zielort einen Campingplatz gibt, eine zentrale Rolle, denn zumindest hier in der Gegend ist wild zelten so gut wie ausgeschlossen. Nicht nur die Häuser, sondern auch die Felder und selbst die Wälder verstecken sich hinter Mauern, Hecken und Zäunen mit beeindruckenden Toren mit dicken Vorhängeschlössern. Nach zwei Tagen durch den Südosten der Insel bin ich in Wexford angekommen. Spontan entscheide ich mich, hier noch eine zweite Nacht auf dem Campingplatz am Stadtrand und direkt am Meer zu bleiben. Nicht weil es hier so schön wäre. Vielmehr hat sich der Frühling in der vergangenen Nacht nach fünf Tagen wieder verabschiedet und stürmischer Wind mit kaltem Regen laden nicht gerade zum Rad fahren ein. Deswegen gibt es heute auch den ersten kleinen Zwischenbericht zu meinen Eindrücken von der grünen Insel – im Regen.

 

 

Mit Umwegen im Süden Irlands unterwegs

 

Zum zweiten Mal nach gut zwei Wochen in Irland lasse ich Zelt und Fahrrad stehen und mache mir einen faulen Tag, den ich wieder dazu nutze, die Tage seit Wexford Revue passieren zu lassen. Und wieder einmal sind es Wind und Regen, die mich im Zelt festhalten, und dabei hatte ich gestern noch herrlichsten Sonnenschein am Mizen Head, dem südwestlichsten Punkt der Insel.

Mein Plan, den ich wie immer nicht habe, führt mich immer der Küste entlang im Uhrzeigersinn um die Insel und wenn es abseits davon etwas Interessantes zu sehen gibt, mache ich eben einen Abstecher ins Binnenland. Die Ecke zwischen Wexford und Waterford gehört sicher nicht zu den touristischen Hotspots Irlands. Wer mich hier auf meinen Reisen früher schon begleitet hat, weiß, dass ich an einem Leuchtturm nur schwer vorbeikomme. Das ist hier allerdings etwas schwieriger als anderswo, denn zum einen stehen die spektakulärsten Türme oft weit draußen im Meer auf kleinen Felsinseln (da fehlt dann wieder einmal das Tretboot) oder immer wieder scheitere ich, weil der Leuchtturm auf einem Golfplatz – nur für Mitglieder! – oder auf abgesperrtem Privatgelände steht. Frustrierend! Aber immerhin gibt es ja am Hook Head den (angeblich) ältesten noch im Betrieb befindlichen Leuchtturm der Welt. Also nichts wie hin. Um 17.00 Uhr stehe ich vor dem Leuchtturm, um 17.00 Uhr schließt der Leuchtturm seine Pforten für Besucher und ich werde recht ruppig vom Gelände vertrieben. Es bleiben also ein paar Fotos von der Außenansicht, die ja auch das Wichtigste eines Leuchtturms. Ich trete danach den geordneten Rückzug von der Halbinsel an und lande in Fethard-on-Sea als nahezu einziger Gast auf einem kleinen Campingplatz.

 

 

 

Ruinen aller Art säumen den Weg - es gibt wohl keine Ort ohne...

 

Von dort geht’s ins Landesinnere nach Kilkenny. Bier ist bei den meisten die erste Assoziation bei diesem Ortsnamen, aber das wird hier schon lange nicht mehr gebraut, sondern in derselben Brauerei wie das Guiness in Dublin. Beide Marken gehören einem internationalen Getränkemulti. Und auch wäre das kein Grund für mich, den Umweg zu fahren. Auf dem Weg dorthin folge ich überwiegend dem River Nore und komme durch eine wunderschöne Landschaft. Und zur guten Tat des Tages komme ich auch noch, als ich einer hilflos am Straßenrand stehenden Frau an ihrem in die Jahre gekommenen Mercedes Coupé den Reifen wechsele und mir damit einen Kaffee und ein Eis in Inistioge verdiene, dem wohl schönsten Dorf im engen Tal des River Nore, durch das ich bisher hier gekommen bin.

 

 

Kilkenny ist nach meinem Reiseführer das Rothenburg Irlands – vielleicht auch ein Grund, einen Bogen um die Stadt zu machen. Das Schloss und der Schlosspark der Stadt sind aber tatsächlich sehenswert, auch wenn ehemaligen Eigentümer, denen das Anwesen über viele Jahrhunderte gehörte, erst einen Ausverkauf gemacht haben, es dann verkommen ließen und schließlich für 50 irische Pfund an die Stadt verkauften. Inzwischen ist es aber wieder toll hergerichtet. Am anderen Ende der Hauptstraße gibt es dann noch eine Kathedrale, bei dem der Turm fast am interessantesten ist, wie ein Industrieschornstein aussieht und die Treppe so eng ist, dass eine Fahrradlenkertasche schon fast ein bisschen zu sperrig ist. Natürlich gibt es noch viel mehr zu sehen, aber alles muss ich auch nicht mitmachen. Und die Highlights des Ortes? Für mich das kleine Café in der ehemaligen Schlossküche und drei Straßenmusiker vor dem Schloss, die mit viel Hingabe Irish Folk spielten.

 

 

 

In einem kleinen Bogen über Cashel und Cahir geht es für mich zurück in Richtung Südküste. Beide Orte haben – wie sollte es hier auch anders sein – Schlossruinen zu bieten. Ja, sie sind etwas größer als andere und haben geschichtlich sicher auch eine besondere Bedeutung, aber bei der Vielzahl der Ruinen verschwimmen die Details. Eine  Premiere gibt es dann doch noch auf einem Campingplatz in der Nähe von Cahir. Für kleines Geld komme ich dort auf einem Apfelhof unter, und für jeden Gast gibt es eine Flasche Apfelsaft aus eigener Produktion.

 

 

 

Ich habe keine Ahnung, welche Wassertemperaturen hier im Atlantik herrschen. Aber Iren sind im puncto Wetter offenbar nicht besonders verwöhnt und wenn es dann noch zu der Kombination Wochenende und Sonnenschein kommt, gibt es auch Mitte Mai kein Halten mehr und alles strömt an die Sandstrände zwischen den Klippen, um zu baden und sich die blasse Haut verbrennen zu lassen.

 

 

Nach einigen Portionen Fish & Chips, die hinter mir liegen, gönne ich mir am Sonntag bei herrlichem Wetter in einem schönen Restaurantgarten ein richtiges Mittagsmenü. Mit dem Hauptgang bekomme ich dann ein Mischgemüse, in dem auch etwas Länglich-Grünes gehört, das ich nicht erkenne und die Erklärung auch nicht verstehe. Was ich da gegessen habe, erschließt sich mir erst als ich Cork ankomme. Zu einer der Attraktionen der Stadt gehört der English Market, eine Markhalle mit unzähligen Lebensmittelständen, wo man so ziemlich alles bekommt, was man sich vorstellen kann (gleich am ersten Stand beim Eingang Blutwurst und Pansen). An einem Fischstand entdeckte ich dann auch das Gemüse vom Vortag wieder: Es war Queller, den ich bisher nur bei Wattführungen probiert, aber noch nie als Beilage zum Essen bekommen habe.

 

 

 

Cork als zweitgrößte Stadt hat natürlich eine ganze Menge zu bieten, allerdings habe ich im Moment keine allzu große Lust auf noch mehr Kirchen und Schlösser, zumal ich Blarney, etwa außerhalb von Cork, auf einem Campingplatz stehe und es dort noch ein recht berühmtes Schloss inclusive Schlossgarten gibt, um das ich wohl nicht herumkomme. Auch hier, wie bereits in Dublin, ist das alte Gefängnis eine der Hauptattraktionen der Stadt – also noch einmal in den Knast, der hier völlig anders aber auch sehr eindrucksvoll präsentiert wird. Neben dem seinerzeit fortschrittlichen Gefängnisbau stehen hier die Geschichten und die Strafen „normaler“ Insassen im Mittelpunkt der Darstellung.

 

 

Nicht weit von Cork entfernt liegt die Hafenstadt Cobh. Hier legte die Titanic in Richtung New York ab. Im Gebäude der White-Star-Line-Reederei werden Geschichte und Geschichten rund um die Jungfernfahrt und den Untergang der Titanic dargestellt – ehrlich gesagt hatte ich mir hiervon wesentlich mehr versprochen. Hier wird auf recht einfache Art viel Geld mit Kreuzfahrttouristen verdient, die gleich nebenan festmachen und natürlich hier durchgeschleust werden.

 

 

Bleibt also noch Schloss Blarney. Toller Schlosspark, beeindruckende Ruine, aber der wesentliche Grund, warum ausgerechnet dieses Gemäuer so viele Menschen anzieht, ist wohl ein einzelner Stein, der ganz oben im Turm verbaut ist, um den sich viele Geschichten ranken und der, wenn man ihn küsst, sieben Jahre eine besondere Redegewandtheit verleihen soll – und so drängt sich eine Schlange durch das gesamte Schloss, um einmal auf dem Rücken liegend kopfüber einen Stein zu küssen – immerhin wird man nicht mehr wie in vergangenen Zeiten für den Kuss außen über die Brüstung gehängt.Dafür nimmt man es heute, auch nach Corona, mit der Hygiene nicht ganz  so genau!

 

 

 

Ich folge jetzt im Wesentlichen dem Wild Atlantic Way oder der Euro-Velo-Route 1, die teilweise deckungsgleich sind, aber auch immer mal wieder Umwege über Nebenstrecken bereithalten, die nicht nur schlechten Asphalt, sondern auch sehr steile Steigungen auf engen Straßen bereithalten. Als Entschädigung ist man aber auch oft direkt an der Küste unterwegs und hat das Privileg toller Aussichten über Sandstrände, Steilküsten und schroffe Klippen. Als Abwechslung zu Burgruinen gibt es jetzt auch einmal Steinkreise, wie den Drombeg Stone Circle oder einen 4000-5000 Jahre alten Stein-„Altar“ direkt auf den Klippen.

 

 

An der Westküste angekommen habe ich dann gestern auch gleich die erste Landzunge vermessen, und bin bis zum Mizen Head gefahren. Einen echten Leuchtturm gibt es hier zwar auch nicht – das Leuchtfeuer ist gerade einmal mannshoch. Dafür steht es aber auf spektakulären Klippen an der südwestlichsten Ecke von Irland. Dazu Sonnenschein und leichter, warmer Wind – besser geht’s kaum.

 

 

 

Zum Abschluss dann noch eine kleine Geschichte von einem Besuch in meinem Zelt auf einem Campingplatz in Clonakilty. Eigentlich ist es nur eine gemähte Wiese eines Bauernhofes und eigentlich ist mein Zelt für andere tabu – und wenn ich denn einmal Besuch im Zelt haben sollte, dann verböte es mir meine Diskretion, darüber zu berichten. Ich mache hier aber einmal eine Ausnahme. Da die Campingplätze hier in Irland oft sehr spartanisch ausgestattet sind und es an Sitzgelegenheiten fehlt, frühstücke ich gelegentlich im Zelt und wenn das Wetter gut ist, bleibt es zum Lüften und Trocknen offen. Diese Gelegenheit läßt sich ein Rotkehlchen nicht nehmen, setzt sich erst auf den Reißverschluss und guckt ins Zelt, kommt dann aber noch dreimal wieder und hüpft direkt ins Zelt, um die Reste aus meiner Müslischale zu picken. Dieser Einbruch in meine Privatsphäre sei ihm gestattet😊

 

 

Herr der Ringe

 

Es ist nun schon wieder eine ganze Weile her, dass ich hier über meine Reise in und um Irland berichtet habe. Und ihr ahnt es wohl schon: Es ist wieder einmal ein Regentag, den ich nutze, um meine Erlebnisse und Bilder zusammenzufassen, zu ordnen und euch teilhaben zu lassen. Um es vorwegzunehmen: Natürlich ist Wetter hier ein Dauerthema. Aber inzwischen bin ich seit knapp fünf Wochen hier und es ist tatsächlich erst der dritte Tag, an dem ich mein Fahrrad stehen lasse, weil es schon morgens regnet und die Prognose für den Tag auch nicht viel Gutes erwarten lässt. Tage ohne wenigstens kurze (Niesel-)Regenschauer sind zwar hier an der Westküste eher selten, aber meistens lohnt es sich nicht einmal, das Regenzeug herauszuholen. Kurz unterstellen reicht und nach 10 Minuten kommt auch schon die Sonne wieder durch. Wobei das mit dem Unterstellen ist so eine Sache. Es ist schon erstaunlich, dass es in einem Land mit so viel Regen und Wind keine Buswartehäuschen gibt, die ich sonst für solche Fälle immer gern nutze… Was auf die Dauer nervt und zermürbt, ist der Wind. Kein Tag ohne Wind, und Hauptwindrichtung mit sieben Buchstaben: Von vorn! Und das alles bei Temperaturen um 15 Grad, plus/minus 5 Grad.

Mein letzter Bericht endete mit Eindrücken von der südwestlichsten Halbinsel Irlands, dem Mizen Head. Inzwischen darf ich mich wohl mit einigem Recht als Herrn der Ringe bezeichnen, denn ich habe so ziemlich alle Halbinseln an der Westküste umrundet, die dann so klangvolle Namen wie „Ring of Kerry“ tragen.

 

 

 

 

In der Reihenfolge von Süden nach Norden kommt nach Mizen Head der Sheep’s Head, wo es am Ende Halbinsel zur Belohnung für die Plackerei über steile Anstiege und Gegenwind einen sehr versteckten Leuchtturm, den man nur über einen ca. einen Kilometer langen Fußweg erreicht, natürliche Schafe und ein kleines Café gibt. Halbinseln haben ja denselben Vorteil wie Fjorde, wenn man sie umrundet: Wenigstens in eine Richtung hat man Rückenwind, und so ist denn auch der Goat’s Path nicht ganz so schwer und bietet trotzdem eine gute Aussicht – wenn das Wetter mitspielt.

 

 

 

Auf den Sheep’s Head folgt unmittelbar die Beara-Halbinsel. Größte Attraktion am Wendepunkt ist die einzige Seilbahn Irlands, mit der man auf die Insel Sursey übersetzen kann. Aber warum sollte man? Eine kahle Insel, die landschaftlich nichts wesentlich anderes zu bieten hat als die Hauptinsel – und Fahrräder werden auch nicht mitgenommen. Außerdem setzt bei meiner Ankunft gerade wieder einmal Nieselregen ein und nimmt jede Sicht. Also investiere ich die zehn Euro lieber in ein Kaffee und etwas Süßes und trete den Rückweg an.

 

Schöne Gärten, aber auch riesen Probleme mit eingeschleppten Pflanzen - Rhododendron aus dem Kaukasus und Riesenrharbarber aus Südamerika werden teilweise zum Probelm - und die Fuchsien sind verbreitete Heckenpflanzen.

 

Auf der Halbinsel liegt mit Castletownbere der wichtigste und wohl auch wohlhabendste Fischereihafen Irlands. Ich lande abends aber auf der anderen, der Nordseite der Bearas auf einem Campingplatz, der einen der vorderen Plätze im Ranking der kuriosen Stellplätze auf dieser Tour einnimmt. Der Eigentümer war wohl auch ursprünglich oder im Nebenerwerb (Hummer-)Fischer. Jedenfalls liegt überall irgendwelches Fischereiequipment, oder was davon noch übrig ist, herum und morgens werden kistenweise Fische angeliefert – Köder für den Hummerfang. Der Inhaber sitzt in einem völlig vermüllten und verdreckten Wohnzimmer im Sessel vor einem riesigen Flachbildschirm und kassiert die zehn Euro Platzgebühr und ich habe meine Zweifel, ob er diesen Sessel überhaupt noch verlässt. (Tut er, denn abends fährt er mit einem Quad über den Platz und kassiert bei Gästen, die sich nicht angemeldet haben.) Überraschend modern gepflegt und sind allerdings die Sanitäreinrichtungen. Dafür wirkt der Platz selbst wie ein Wohnwagenfriedhof, denn offenkundig wurden viele der Gefährte von ihren Eigentümern schon vor Jahren aufgegeben und einfach zurückgelassen. Ich suche mir einen Platz in der ersten Reihe mit 1a-Blick über das Meer aus, was sich in der Nacht rächt, als ein heftiger Wind aufkommt und ich in Unterhose noch einmal alles abspanne, was das Zelt zu bieten hat.

 

 

 

Aus Richtung Süden kommend ist Kenmare das Tor zum Ring of Kerry, den wohl jeder Irlandreisende auf dem Plan hat. Dementsprechend touristisch ist der Ort, hat aber keinen Campingplatz. Deswegen buche ich mir online Bed & Breakfast. Erste Frage bei einer Ankunft, ob ich gegen einen Preisnachlass von 25 Euro bereit wäre die Online-Buchung zu stornieren. Deal! Dafür bekomme ich nicht nur ein Zimmer, sondern gleich eine vollständige Ferienwohnung. Ich kann nicht sagen, dass ich nach gut drei Wochen Übernachtungen im Zelt in einem richtigen Bett besser geschlafen hätte. Dafür ist das traditionell-irische Frühstück sehr üppig und sehr lecker!

 

 

Als wenn das alles wäre! Müsli, Orangensaft, Scones, frisches Obst - so ein Frühstück gibt es bei mir im Zelt nie!

 

Natürlich fahre auch ich den Ring of Kerry. Die Strecke ist nicht überwältigend und um eine Abwechslung zu haben, mache ich noch einen kleinen Abstecher zum Staigue Stone Fort, einer ca. 2500 Jahre alten Wohn- und Verteidigungsanlage, von denen es hier immer mehr gibt, je nördlicher man kommt. In Waterville noch schnell ein Foto von der Statue von Charlie Chaplin, der hier wiederholt seinen Urlaub verbrachte, und dann mit einer kleinen Fähre auf die Insel Valentia, die ich auch gleich am nächsten Tag über eine Brücke wieder verlasse, um dem Skelling Ring zu folgen. Der bietet gleich am zu Beginn gegen 5,- Euro Eintritt einen spektakulären Blick über die Klippen, der ein bisschen dadurch getrübt wird, dass man vorher schon den weiteren Straßenverlauf sehen kann: Auf kürzester Distanz geht es ca. 200m bis auf die Höhe der höchsten Klippen, natürlich mit Gegenwind. Absolut kein Spaß, auch wenn es auf der anderen Seite genauso steil abwärts geht.

 

 

 

Unmittelbar nach dem Ring of Kerry folgt die Dingle-Halbinsel – nicht weniger touristisch ausgeschlachtet wie die vorherige. Erschwerend kommt hinzu, dass der Montag Bank Holiday ist, also ein langes Wochenende bei schönstem Wetter. Dementsprechend voll die Campingplätze und Straßen. In Dingle selbst checke ich auf dem Campingplatz ein, lasse mein Gepäck zurück und drehe abends noch eine 45-km-Runde um die Spitze der Halbinsel, den Slea Head Drive. Neben einigen Ringforts mit Beeheave-Houses aus prähistorischer Zeit, hat diese Strecke noch etwas ganz Besonderes zu bieten: Einen Drehort von Starwars, wo der letzte Jedi-Ritter sein Lichtschwert geschwungen hat. Diese Extrarunde ohne Rad erspare ich mir allerdings (zumal ich keine einzige Folge von Starwars gesehen habe). Dingle verlässt man über den Connorpass – 10km mit 7-8% Steigung (und natürlich Gegenwind) auf 410 m Höhe – mit einer sehr schönen Aussicht auf beide Küsten der Halbinsel.

 

 

 

Etwas abseits der Hauptreiserouten der Irlandurlauber lande ich auf einem weiteren speziellen Campingplatz. Ich würde ihn als sehr naturbelassenen ehemaligen Bauerhof bezeichnen, was sich nicht nur in einem vielstimmigen Vogelkonzert ab 05.00 Uhr am Morgen zeigt, sondern auch an der Gesellschaft beim Frühstück, bei dem die Hühner der Eigentümer unter der Picknick-Garnitur und direkt neben mir auf der Bank ihren Teil meiner Mahlzeit einforderten. Ausgestattet mit Empfehlungen für die weitere Strecke, umrunde ich auch noch den Loop Head mit Leuchtturm und den Klippen von Kilkee, nicht nur nach meiner Ansicht wesentlich schöner als die berühmten Klippen von Moher, die kurz darauf folgen. Während sich in Moher die Massen drängen (ich habe ca. 20 Reisebusse gezählt), hat man die den Küstenabschnitt südöstlich von Kilkee fast für sich allein.

 

 

 

 Die Städte hier haben für mich nicht viel Reizvolles – irgendwie gleichen sie sich alle, es ist immer nur eine Frage der Größe und wie viele Touristen sie besuchen. Deswegen habe ich auch Tipperary und Limerick (Warum sollte man dort hinfahren? Nur weil einem die Namen aus völlig anderem Zusammenhang etwas sagen?) ausgelassen und in Galway mache ich nur eine kurzen Zwischenstopp für die Mittagspause in der Fußgängerzone, die schon zu den Highlights der Stadt gehört.

 

Die Städte ähneln einander - viele bunte Fassaden, kleine Geschäfte Pubs, der Unterschied ist letztlich die Größe und die touristische Bedeutung

 

Von Küsten, Stränden und Klippen habe ich erst einmal genug und fahre ein Stück ins Landesinnere in die Landschaft Burren. Wer sagt eigentlich, dass ganz Irland grün wäre. Hier dominiert der nackte Fels durchzogen von schier endlosen Steinwällen. In meinem Reiseführer heißt es zu diesem Landstrich, hier galt früher als reich, wer nicht verhungerte. Oder wie ein Cromwellscher Heerführer sagte: „Kein Wasser zum Ertränken, kein Baum zum Hängen, keine Erde zum Begraben.“ Wie dem auch sei, faszinierend ist diese Landschaft auf jeden Fall, eben weil sie auch so komplett anders ist als alles andere, was ich hier bisher gesehen habe. Um sich dieses Gebiet wirklich zu erschließen, müsste man wohl die Wanderschuhe anziehen – habe ich nicht dabei…

 

 

Wieder einer dieser sehr speziellen Campingplätze im Burren: Kein Verantwortlicher vor Ort, Geld wird auf Vertrauensbasis in den Briefkasten geworfen und die Sanitäreinrichtungen für alle - eine Dusche, ein Waschbecken, zwei Toiletten mit Wasserspülung aus dem Eimer

 

Zwischen zwei großen Seen gelegen, hat es der kleine Ort mit einigen Besonderheiten auf den Tourenplan vieler Reisender geschafft. Da ist Ashford Castle, ein Schloss, dass sich die Guiness-Familie hier im 19. Jahrhundert in eine Parklandschaft hat bauen lassen und heute ein Luxushotel mit Golfplatz beherbergt. Natürlich kommt auch Cong nicht ohne eine Klosterruine aus, die größte Kuriosität ist aber wohl der Dry Canal, der es heute ohne Frage in jede Satiresendung und ins Schwarzbuch der Steuerzahler geschafft hätte. Man wollte die beiden Seen durch einen Kanal verbinden. Als der Kanal fertiggestellt war und geflutet werden sollte, versicherte das gesamte Wasser im porösen Gestein der Gegend – den Spott haben sich die Bauherren auch damals schon zugezogen.

 

 

Cong war Drehort für den Film "The Quiet Man" mit Maureen O'Hara und John Wayne, was bis heute gefeiert und vermarktet wird

 

Auf dem Weg zurück an die Küste, bin ich ins Kloster gegangen. Keine Sorge, ich bin keiner göttlichen Eingebung gefolgt, mein Leben zu ändern. Kylemore Abbey gehört nun einmal zu den Top Ten der irischen Sehenswürdigkeiten – mit einer für den Massentourismus hervorragenden Cafeteria, wo leckerer Irish Stew mit reichlich Schaffleisch zubereitet wird – endlich einmal eine Alternative zu Fish & Chips und Burgern.

 

 

 

Das Thema Essen ist manchmal schon sehr speziell. Gut, im Pub gibt es nicht nur Bier und Whisky, man bekommt auch etwas zu Essen. Gelegentlich muss man nur mit Überraschungen rechnen. Fish & Chips sind relativ "ungefährlich", Cola und Pizza ist absolut keine Empfehlung im Pub und beim Burger gibt es auch einmal spezielle Kreationen, z. B. eine Scheibe Black Pudding - sprich: Blutwurst - auf dem Fleisch!

 

Kein Ort gehobener Gastronomie

 

Meinen wetterbedingten Ruhetag verbringe ich am Strand von Keel auf der kleinen Insel Achill. Die Strecke von Westport nach Keel war mit Abstand die beste (einmal abgesehen von 60m Gegenwind), die ich bisher hier in Irland gefahren bin. Sie gehört zum "Greenway", einem Netz von Fahrradroute auf ehemaligen Bahntrassen abseits der Straße. Hervorragend ausgebaut, leichte Steigungen, schöne Landschaft. So könnte es eigentlich immer sein.

 

 

 

Nach viel Weideland mit sehr vielen Rindern und Schafen, nach Küsten mit Sandstränden und Klippen bin ich jetzt in einer Landschaft ausgedehnter Moore unterwegs. Hecken, Zäune, Mauern werden immer weniger und die Gegend wird immer offener und weiter. Der Abbau von Torf als Heizmaterial mit schwerem Gerät oder ganz traditionell mit dem Spaten wird hier noch in großen Stil betrieben. Im Moor gibt es allerdings keine Campingplätze. Ich werde sehen, vielleicht habe ich dann auch einmal die Chance, in der Natur zu übernachten. Ich werde berichten.

Der Norden Irlands und Nordirland

 

Wie erwartet, habe ich die Nacht nach meinem letzten Bericht tatsächlich einmal „wild“ gezeltet, weil weit und breit kein Campingplatz zu finden war. Aber anders als in weiten Teilen Irlands, die ich bisher kennengelernt habe, ist der Norden und Nordwesten eben kein Acker- und Weideland, sondern weite, offene Moorlandschaft. Und die Besiedelung ist auch nur sehr spärlich. Da habe ich mein Zelt dann eben einmal im Moor aufgebaut, wo gerade Torf zum Trocknen liegt. Endlich einmal ein Platz zum Übernachten, wo es garantiert keine lauten Nachbarn gibt – allerdings lassen im Moor in windgeschützter Lage die Midges – in Skandinavien nennt man sie Knots – nicht lange auf sich warten. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Geschlossene Kleidung und die chemische Keule gegen Insekten oder Flucht ins Zelt. Ich habe mich für die zweite Variante entschieden.

 

 

Übernachtung im Moor

 

Der Torfabbau findet hier tatsächlich noch in größerem Stil statt. Mit Baggern und speziellen Gerätschaften wird der Torf aus den riesigen Moorflächen geholt und dann zum Trocknen in langen Würsten auf der Oberfläche verteilt. Überall sieht man hier die Menschen, die den Torf später zum weiteren Trocknen aufstellen oder abtransportieren. Mai und Juni sind die Monate, sich das Heizmaterial für den Winter zu beschaffen, so wie sich bei uns die Eigenwerber in Winter das Holz aus dem Wald holen.

 

 

Torfabbau in größerem Stil

 

Dass auch diese Landschaft menschengemacht ist und die Moore erst entstanden sind, nachdem die Wälder gerodet wurden, kann man ganz gut in der Ausstellung auf den Céide Fields nachvollziehen, Ausgrabungen der wohl weltweit ältesten bekannten Siedlungen mit ausgedehnten Feldern, die mit Steinwällen eingefasst waren. Ca. 100km Wälle hat man inzwischen lokalisiert, die vor ca. 5000 Jahren angelegt wurden. Bei den Ausgrabungen hat man im Moor auch Reste großer Baumstämme gefunden, die hier heute gänzlich verschwunden sind.

 

Küste, Ausgrabungsflächen und Informationszentrum der Céide Fields

 

Dass damals hier auf der Insel schon so einiges los war, kann man auch ganz gut bei Sligo auf dem Carrowmore Megalithe Cemetry besichtigen, wo einmal 25 – 30 Großsteingräber und Steinkreise vorhanden waren, die aber zu einem großen Teil in den letzten 200 Jahren anderweitigen Verwendung fanden.

 

 

 

Wie schon mehrfach erwähnt, ist es gar nicht so einfach außerhalb von Campingplätzen einen Platz zu finden, wo man ungestört sein Nachtlager aufschlagen kann und darf. Umso spezieller sind hier die Campingplätze – und das ist in Nordirland nicht anders als auf dem Rest der Insel. Da gibt es die kleinen Plätze, wie z. B. in Crolly, wo man spürt, dass die Inhaber es ihren Gästen so angenehm wie möglich gestalten wollen. Anderen geht es offenbar ausschließlich um Gewinnmaximierung. Die Palette reicht da von Plätzen ohne eine einzige Steckdose, um seine Akkus aufzuladen, über simpelste Sanitäreinrichtungen, wo man für fünf Minuten duschen noch einmal 1 – 2 Euro investieren muss bis hin zur nackten Wiese mit Toilettenhaus und Spüle im Freien, die kurzerhand zum Campingplatz umbenannt wurde – Schafsch… inclusive. Eine besondere Art von „Geschäftstüchtigkeit“ habe ich auf dem Campingplatz in Ballyshannon erlebt, als ich den Inhaber morgens frage, wo ich denn ein Gaskartusche kaufen könne. Nachdem er eine Weile herumgedruckste zieht er seine Schreibtischschublade auf und holt eine angebrochene, leicht verrostete und verbeulte Kartusche hervor, die mit großer Sicherheit andere Camper zurückgelassen hatten. Ich habe sogar einen passenden Adapter dabei und frage mehr der Form halber, was ich denn bezahlen soll. Prompt kommt die Antwort: „5 Euro!“ Von nichts kommt eben nichts und bekanntlich macht Kleinvieh auch Mist - nicht umsonst stehen vor dem Haus ein Porsche Cayenne und ein Mercedes Coupé. Übrigens haben Preis und Qualität der Campingplätze grundsätzlich nichts miteinander zu tun.

Erfahrungsgemäß sind sogar die schlichtesten Plätze eher am oberen Ende der Preisskala zu finden. Die Nacht auf dieser Wiese hat 20 Pfund gekostet:

 

 

 

In Killybegs, dem zweitgrößten Fischereihafen Irlands mit großer Fischverarbeitung und entsprechender Geruchsnote im Ort, bin ich auf einem Campingplatz außerhalb des Ortes in spektakulärer Lage, mit minimalistischer Ausstattung und exklusiven Preisen gelandet. Nachdem ich mein Lager aufgeschlagen habe, setzte ich mich noch einmal aufs Rad und fahre die 22km zu den Klippen von Slieve League, den angeblich höchsten Klippen Europas. Nach gut 3000km auf der Insel habe ich schon einige Tausend Schafe gesehen, allerdings immer nur Muttertiere mit Lämmern – die Böcke haben sich sehr rar gemacht. Aus welchem Grund auch immer, stehen auf dieser Strecke zahlreiche Schafböcke mit beeindruckendem Gehörn links und rechts der Straße auf den Weiden. Ich komme nicht vorbei, ohne einige Portraits aufzunehmen. Dadurch verpasse ich den vorletzten Shuttlebus von der Tourist-Info zu den Klippen. Auf den letzten Bus hätte ich lange warten müssen und dieser hat dann auch nur zehn Minuten Aufenthalt. Also noch ein paar Kilometer weiter mit dem Rad und den Rest dann zu Fuß. Ich habe hier ja schon einige Klippen gesehen und war auch immer wieder beeindruckt. Einmal abgesehen von dem eher bescheidenen, diesigen Abendlicht ist das hier aber nicht der Fall. Es ist eben ein Berg, der bis ins Meer reicht. Auf meinem Rückweg überholt mich der letzte Shuttlebus. Die zehn Minuten hätten mir auch gereicht…

 

 

Die angeblich höchsten Klippen Europas

Wenigstens für sie hat sich der Weg gelohnt

 

Mit Radwegen ist Irland nicht besonders reich gesegnet. Das bedeutet für mich, dass ich die Straße mit allen anderen teilen muss. Vorwiegend bin ich auf den schmalen, bergigen und kurvenreichen Nebenstraßen unterwegs, wo man auch einen einzelnen Radfahrer nicht so ohne Weiteres überholen kann. Ich wünsche mir oft die irische Geduld und Gelassenheit im Straßenverkehr auch auf deutschen Straßen. Ein sehr schönes Beispiel hierfür erlebe ich während eines Regenschauers in Ardara. Ich stelle mich in der Einfahrt einer Tiefgarage unter, um den Regen vorüberziehen zu lassen und komme dabei mit amerikanischen Touristen ins Gespräch. Währenddessen parkt eine Frau ihr Fahrzeug quer in der Einfahrt der Tiefgarage, lässt ihr Kind im Auto zurück und geht einkaufen. Eine andere Frau will mit ihrem Auto die Garage verlassen und steht mindestens zehn Minuten vor dem Hindernis, ohne dass ihr die geringste Ungeduld oder Verärgerung anzumerken wäre. Die Fahrerin des geparkten Autos kommt zurück, grüßt kurz entschuldigend, verstaut in aller Ruhe ihre Einkäufe und fährt dann nach einer Weile weg, was meine Gesprächspartnerin ironisch mit „Take your time!“ kommentiert. Ich stelle mir diese Situation bei uns vor – Beschimpfungen und Beleidigungen wären wahrscheinlich noch die mildesten Reaktionen…

 

 

Manchmal scheinen die Uhren in Irland einfach anders zu ticken

 

Von Westen her nähere ich mich Nordirland und damit Großbritannien. Ohne sichtbare Zeichen oder Hindernisse verlasse ich die EU und rolle in Derry – oder Londonderry? - ein. Da geht’s schon los mit dem Nordirlandkonflikt. Wie heißt diese Stadt eigentlich richtig? In Irland weisen alle Schilder nach Derry. Offiziell heißt sie seit Jahrhunderten Londonderry. Die Stadtregierung nennt sich aber Council of Derry. Schwierig wird es im Gespräch, denn je nachdem, ob man sich mit einem Loyalisten (Londonderry!) oder einem Unionisten (Derry!) unterhält, kann man ins Fettnäpfchen treten. Dann also doch vielleicht „Walled City“, wegen der Stadtmauer, oder „Maiden City“, weil sie nie eingenommen wurde, oder „Stroke City“, weil häufig beide Begriffe mit Schrägstrich verwendet werden? Egal wie, auch 26 Jahre nach dem „Good Friday Agreement“, mit dem der Bürgerkrieg, der hier beschönigend nur „The Troubles“ genannt wird, beendet wurde, ist der Konflikt sicher nicht ausgestanden und beide Seiten tun vieles dafür, die Vergangenheit in Erinnerung zu halten und nichts von den gegenseitigen Verbrechen zu vergessen oder zu vergeben. Ende Juni/Anfang Juli finden in ganz Nordirland zahlreiche Paraden und Umzüge der fest an der Seite Großbritanniens stehenden Bevölkerung zum Gedenken der Schlacht am Boyne vor 334 Jahren statt und dafür wird schon Tage und Wochen vorher alles an Fahnen, Flaggen und Wimpeln rausgehängt, was irgendwo Platz findet. Eine Provokation für die katholische Bevölkerungsmehrheit! Wenn man aber in den Bog (weil dieser Teil der Stadt früher ein Moor war) geht, wo fast ausschließlich katholische Iren leben, sind nur die Vorzeichen anders – hier werden die Toten der „troubles“ als Märtyrer und die Kämpfer der IRA als Helden in zahllosen Wandbildern, Denkmälern und einem eigenen Museum dargestellt. Von der fast vollständig erhaltenen Stadtmauer kann man mit ein paar Abstechern all das aus nächster Nähe betrachten und erleben, wobei viele dieser Orte Teil des touristischen Standardprogramms der Stadt sind.

 

 

 

Nach zwei Nächten in dieser im Innern zerrissenen Stadt schwinge ich mich wieder in den Sattel und mache mich auf den Weg zu einer der größten Touristenattraktionen der Insel, dem Giant‘s Causeway. Auf dem Weg dort hin passiere ich die Ruine des Dunluce Castle. Fast jedes größere Dorf hat hier seine Schlossruine und an den meisten fahre ich an ihnen vorbei, ohne anzuhalten. Dunluce Castle macht da schon wegen seiner Größe und seiner spektakulären Lage auf den Klippen der Nordküste eine Ausnahme.

 

 

 

Der Giant‘s Causeway ist eine Basaltformation, die durch erstarrende Lava entstanden ist und aus sechseckigen Steinsäulen besteht, wie ich sie schon aus Island und Schottland kenne, um deren Entstehung durch einen Riesen sich einige Legenden ranken. Wie es sich für eine richtige Touristenattraktion und Nordirlands einzige UNESCO Welterbestätte gehört, gibt es ein riesiges Visitorscenter und es drängen sich ganze Busladungen vorwiegend asiatischer Besucher auf den Steinen. Wenn man keinen Parkplatz benötigt, ist der Eintritt allerdings frei.

 

 

 

Das mit dem Eintritt ist sieht beim Zugang auf die kleine Felsinsel Carrick-a-Rede völlig anders aus. Dabei ist die Insel an sich uninteressant bis auf einige Seevögel, die an die Klippen brüten. Was sie interessant macht, ist die kurze Hängebrücke über den schmalen Spalt, der die Insel vom Festland trennt und einst den Fischern dazu diente, ihren Fang auf die Hauptinsel zu bringen. Und diesen Gang über diese Brücke lässt man sich mit stolzen 15,50 Pfund vergolden!

 

 

 

Auf meinem Weg in die nordirische Hauptstadt Belfast folge ich der Panoramastraße durch die „Antrim Coast & Glens AONB“ (area of outstandig natural beauty). Diese Strecke ist in ihrem ersten Teil sehr schmal, hat einige sehr steile Abschnitte und ist deswegen für Fahrzeuge über 3 Tonnen gesperrt. In der Gegend gibt es viele Caravan- und Holiday Parks, die aber fast alle keine Zeltplätze haben. Nachdem ich mehrere Anwohner gefragt hatte, lande ich in Waterfoot auf einer Rasenfläche am Strand – öffentliche Toilette in Reichweite. Leider bin ich nicht der Einzige, der diese kostenlose Übernachtungsmöglichkeit nutzt. Nicht weit (genug) von mir schlägt eine Großfamilie ihr Camp auf und lässt sich weder von Regen noch von Midges ihre Feierlaune verderben. Besoffene, kreischende Weiber bis tief in die Nacht sind die Hölle (sorry, mir fallen keine treffenderen Worte dafür ein). Der zweite Teil der Küstenstraße macht seinem Namen alle Ehre und führt auf Meeresniveau direkt am Wasser bis ins Zentrum von Belfast, wobei die letzten zehn Kilometer reiner Rad- und Wanderweg sind. Am Stadtrand komme ich für drei Nächte auf einem ruhigen Campingplatz mit direkter Anbindung an das Stadtzentrum über einen Greenway unter.

 

Was ich schon in Derry in Sachen Nordirlandkonflikt gesehen und erlebt habe, erfährt hier in Belfast noch einmal eine deutliche Steigerung. Ganze Straßenzüge sind mit riesigen Wandbildern, Flaggen und Parolen gespickt und es ist schwer vorstellbar, dass sich hier ein Angehöriger der anderen Seiten niederlassen und in guter Nachbarschaft leben könnte. Und es gibt sie noch, die „Peace Wall“, eine Mauer mitten durch die Stadt, mit der die Konfliktparteien voneinander getrennt wurden und die Tore in der Mauer nachts geschlossen wurden. Den ersten Tag in Belfast habe ich fast ausschließlich damit verbracht, mir diese Kontraste anzusehen, aber auch mit der Suche nach Straßenkunst, die überreichlich in jeder Größe und Qualität vorhanden ist.

 

 

 

Der zweite Tag ist den anderen Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbehalten. Ganz weit oben steht da natürlich die Tatanic Experience auf dem ehemaligen Werftgelände von Harland & Wolff, wo die Titanic gebaut wurde. Schon das vierflügelige Gebäude beeindruckt mit seiner Höhe, die der Höhe des Bugs der Titanic entspricht und der äußeren Hülle, die an einen Eisberg erinnern soll. Im Innern wird eine eindrucksvolle Ausstellung geboten, die von Lebens- und Arbeitsbedingungen der damals 35.000 Werftarbeiter, den Planungen und der Realisierung des Mammutprojektes bis hin zur Ausstattung, dem Untergang und der Entdeckung des Wracks reicht. Hervorragend gemacht auf jeden Fall das Eintrittsgeld wert. Danach folgen noch eine Führung in der City Hall und ein paar andere Attraktionen, einschließlich eines der ältesten, denkmalgeschützten Pubs der Stadt, dem Liquor Saloon, wo ich kein Bier trinken möchte und kein Essen bekomme, da ich keinen Platz reserviert habe. Zwei Tage Belfast sollen mir dann auch reichen, denn neben den herausgeputzten Stadtteilen und Sehenswürdigkeiten wirkt die Stadt auch in vielen Bereichen heruntergekommen und schmutzig.